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'Kants Metaphysik der Sitten'
 
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Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten (1797)

§ 24

Geschlechtsgemeinschaft (commercium sexuale) ist der wechselseitige Gebrauch, den ein Mensch von eines anderen Geschlechtsorganen und Vermögen macht (usus membrorum et facultatum sexua-lium alterius), und entweder ein natürlicher (wodurch seinesgleichen erzeugt werden kann), oder un-natürlicher Gebrauch (...)
Die natürliche Geschlechtsgemeinschaft ist nun entweder die nach der bloßen tierischen Natur (vaga libido, venus volgivaga, fornicatio), oder nach dem Gesetz. - Die letztere ist die Ehe (matrimonium), d. i. die Verbindung zweiter Personen verschiedenen Geschlechts zum lebenswierigen wechselseitigen Besitz ihrer Geschlechtseigenschaften. - Der Zweck, Kinder zu erzeugen und zu erziehen, mag immer ein Zweck der Natur sein, zu welchem sie die Neigung der Geschlechter gegeneinander einpflanzte; aber daß der Mensch, der sich verehlicht, diesen Zweck sich vorsetzen müsse, wird zur Rechtmäßig-keit dieser Verbindung nicht erfordert; denn sonst würde, wenn das Kinderzeugen aufhört, die Ehe sich zugleich von selbst auflösen.
Es ist nämlich, auch unter Voraussetzung der Lust zum wechselseitigen Gebrauch ihrer Geschlechts-eigenschaften, der Ehevertrag kein beliebiger, sondern durchs Gesetz der Menschheit notwendiger Vertrag, d. i., wenn Mann und Weib einander ihren Geschlechtseigenschaften nach wechselseitig genießen wollen, so müssen sie sich notwendig verehelichen, und dieses ist nach Rechtsgesetzen der reinen Vernunft notwendig (...)

§ 26

Aus denselben Gründen ist das Verhältnis der Verehelichten ein Verhältnis der Gleichheit des Besit-zes, sowohl der Personen (...) als auch der Glücksgüter, wobei sie doch die Befugnis haben, sich, obgleich nur durch einen besonderen Vertrag, des Gebrauchs eines Teils derselben zu begeben. (...)
Wenn daher die Frage ist: ob es auch der Gleichheit der Verehelichten, als solcher widerstreite, wenn das Gesetz von dem Manne in Verhältnis auf das Weib sagt: er soll dein Herr (er der befehlende, sie der gehorchende Teil) sein: so kann dieses nicht als der natürlichen Gleichheit eines Menschenpaares widerstreitend angesehen werden, wenn dieser Herrschaft nur die natürliche Überlegenheit des Ver-mögens des Mannes über das weibliche, in Bewirkung des gemeinschaftlichen Interesses des Haus-wesens und des darauf gegründeten Rechts zum Befehl zum Grunde liegt, welches daher selbst aus der Pflicht der Einheit und Gleichheit in Ansehung des Zwecks abgeleitet werden kann.

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