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'Fernsehen im deutsch-französischen Spannungsfeld'
 
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Fernsehen im deutsch-französischen Spannungsfeld

ARTE befindet sich in einem Spannungsfeld, das von jeweils unterschiedlichen Medienstrukturen, kulturellen und soziopolitischen Fragestellungen, Bildsprachen und Fernsehästhetiken, aber auch Erwartungshaltungen und Sehgewohnheiten geprägt ist. Diese schlagen sich in vielfältiger Weise nieder: in der institutionellen Struktur; im Selbstverständnis von Autoren, Produzenten und Journalisten; im Gewichten und Interpretieren von Nachrichten und Ereignissen; in Stil und Form von Moderation und Präsentation; in der Gewichtung von Themen und der Einschätzung von Filmen; nicht zuletzt in der Programm- und Sendeplanung und damit in der Aufnahmebereitschaft und Akzeptanz beim Publikum diesseits und jenseits des Rheins.

So spiegeln sich in der Struktur von ARTE Zentralismus und Föderalismus ebenso wider wie die unterschiedliche Auffassung des Rundfunks in Deutschland und Frankreich. Die Finanzierung erfolgt auf deutscher Seite durch einen Anteil an der Rundfunkgebühr und ist somit jeweils über einen Zeitraum von mehreren Jahren gesichert. In Frankreich legten Parlament und Regierung jährlich im Rahmen der Haushaltsberatungen den ARTE-Anteil am audiovisuellen Gesamtbudget fest. Dadurch geriet der Sender häufiger in die parteipolitische Auseinandersetzung und stand in den Anfangsjahren unter höherem politischen Legitimationsdruck als in Deutschland. Diese engere staatliche Abhängigkeit führte im Jahr 2000 im Umfeld der Neustrukturierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu einem ernsten deutsch-französischen Konflikt über den zukünftigen Status von ARTE France. Mit der Wahrung der Unabhängigkeit und dem erstmals mit dem Staat ausgehandelten „Contrat d’objectifs et de moyens [1] “ für die Jahre 2003 bis 2005 verfügt auch ARTE France [2] über eine (finanzielle) Planungssicherheit für einen längeren Zeitraum.

Abbildung 1:

Dem in Frankreich institutionell geprägten Verständnis von ARTE als einem "Sender" bestimmter kultureller und politischer Botschaften steht die deutsche Auffassung gegenüber, ARTE eher als Forum des interkulturellen Dialogs zu verstehen.

Internet-Quelle [3]

Die seit de Gaulle in Frankreich vorherrschende Auffassung von Rundfunk als einem Instrument staatlicher Informations- und Kulturpolitik setzt sich in der Erwartung fort, ARTE auch in die auswärtige Kulturpolitik, insbesondere die "Frankophonie", einzubinden. Diesem institutionell geprägten Verständnis von ARTE als einem – auch außenpolitisch einsetzbaren – "Sender" bestimmter kultureller und politischer Botschaften steht die deutsche Auffassung gegenüber, ARTE eher als Forum des interkulturellen Dialogs zu verstehen und dabei auch den Nutzer – also den gebührenzahlenden Zuschauer – mit seinen kulturellen Bedürfnissen einzubeziehen.

Ähnliche Unterschiede finden sich im journalistischen Selbstverständnis und Alltag von ARTE. In Deutschland ist die journalistische Berichterstattung stark von den Erfahrungen des Nationalsozialismus und der anglo-amerikanischen Tradition geprägt. Nachrichten sollen die Wirklichkeit glaubwürdig abbilden, die Berichterstattung soll objektiv und neutral sein. Deshalb sind die Studiodekorationen eher neutral-nüchtern gehalten, die Nachrichtensprecher nehmen sich als Person stark zurück.

Abbildung 2:

Im Verständnis der Fernsehanstalten Deutschlands sollen die Wirklichkeit glaubwürdig abbilden, die Berichterstattung soll objektiv und neutral sein. Deshalb sind die Studiodekorationen eher neutral-nüchtern gehalten (Das Bild zeigt das ARD-Nachrichtenstudio)

Internet-Quelle [4]

Die französische Tradition geht davon aus, dass der Journalist Bestandteil des Systems ist, was zu einer stärkeren Personalisierung in der Nachrichtenpräsentation bei einer geringer ausgeprägten kritischen Distanz führt. So neigen die französischen Journalisten der Nachrichtenredaktion – bewusst oder unbewusst – zu einer affirmativen Grundhaltung, wenn es um Themen und Ereignisse geht, die den Kernbereich des französischen Nationalverständnisses betreffen; etwa bei der Berichterstattung über Kernenergie oder die europäische Agrarpolitik. Bei den deutschen Kollegen dagegen ist häufig eine für Franzosen schon fast übertrieben anmutende Neigung zu Kritik an den Zuständen im eigenen Land zu beobachten.

Nationale Unterschiede lassen sich in fast allen Programmgenres beobachten. In französischen Dokumentarfilmen tritt der Off-Ton-Kommentar weitgehend zugunsten von Originaltönen zurück: der französische Autor lässt Menschen und Bilder sprechen und setzt darauf, dass die Zuschauer diese einzuordnen verstehen. Im deutschen „Feature“ dagegen neigt der Autor zum einordnenden – damit aber auch einengenden – Kommentar. Franzosen wollen universelle Themen und Fragen anhand von Einzelschicksalen anschaulich werden lassen; Deutsche ordnen die Lebenserfahrungen der Individuen eher einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive unter. Ähnliches lässt sich auch bei der Zusammensetzung von Diskussionsrunden beobachten. Die französischen Kollegen neigen dazu, Gesprächspartner einzuladen, die aus ihrer persönlichen Lebenserfahrung zur Erhellung des jeweiligen Themas beitragen können; auf der deutschen Seite herrscht die Suche nach Experten vor, die einen Sachverhalt erklären und interpretieren sollen.

Abbildung 3:

Die Zusammensetzung von Fernsehdiskussionsrunden unterscheidet sich zwischen Frankreich und Deutschland deutlich. Die französischen Kollegen neigen dazu, Gesprächspartner einzuladen, die aus ihrer persönlichen Lebenserfahrung schöpfen; auf der deutschen Seite herrscht die Suche nach Experten vor. Im Bild Sabine Christiansen in einer Diskussion zum Thema »Neues Deutschland: Eliten statt Nieten?“ (11. 1. 2004)

Internet-Quelle [5]

So zeigt sich auch hier ein unterschiedliches Grundverständnis von den Möglichkeiten und Aufgaben des Fernsehens. In einem Fall ist Fernsehen ein Medium, das gesellschaftliche Zustände abbildet, dessen mannigfache Bilderwelten sich im Kopf des Zuschauers zu Weltbildern zusammensetzen; im anderen ist es ein Medium, das gesellschaftliche Zustände erläutern und in diese eingreifen will. Überspitzt gesagt: Der französische Autor wendet sich an den intellektuell aufgeschlossenen Citoyen, für den Kultur auch eine politische Dimension haben kann; der Deutsche wendet sich an den Bürger, dessen politisches Engagement sich auch kultureller Ausdrucksformen bedienen kann.