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'Französischer Widerstand'
 
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Jacques Maritain beeinflußte die Résistance nachhaltig mit seiner Schrift "Über die politische Gerechtigkeit" (1940), geschrieben während des Krieges 1940, also noch vor der Formierung der Résistance-Gruppen. Er formulierte eine Reihe von Betrachtungen, die von den verschiedensten Résistance-Gruppen aufgenommen wurden: "Jeder, der über Europa nachgedacht hat, weiß, daß das deutsche Problem moralisch wie geographisch im Mittelpunkt der Probleme und der Schmerzen unseres Kontinents liegt: ohne den Beitrag und die Mitarbeit des germanischen Elements gibt es in Europa weder Frieden noch Zivilisation; diese gibt es aber auch nicht mit einem Deutschland, das von dem Instinkt des Pangermanismus und von preußischem Imperialismus beherrscht und aus dem Gleichgewicht gebracht ist. Wird die ungeheure Erschütterung des gegenwärtigen Krieges die Möglichkeit bieten, diesen tragischen Widerspruch aufzuheben?" Maritain sah durchaus Chancen für eine neue europäische Ordnung, er sah zugleich die politische Kraftanstrengung, die die Deutschen unternehmen müßten, um sich in ein föderal strukturiertes Europa einfügen zu können. (Quelle zitiert nach: Lipgens, 183-185).

Im Gefängnis schrieb der Führer der französischen Sozialisten, Léon Blum [1] , im Sommer 1941 eine umfangreiche politische Streitschrift, die im darauffolgenden Sommer aus dem Gefängnis geschmuggelt und zum Basistext der sich neu formierenden SFIO (Section Française de l'Internationale Ouvrière) wurde. 1945 erschien die Schrift in Zürich auf Deutsch unter dem Titel "Blick auf die Menschheit" (A l'échelle humaine). Blum setzte sich mit dem Scheitern der französischen Demokratie auseinander, empfahl deren Reorganisation nach Schweizer oder amerikanischem Muster mit einer starken Exekutive, sowie Dezentralisierung im Innern (unter Bezug auf Walther Rathenau). Aus der Kritik am französischen Bürgertum entwickelte er das Konzept einer sozialen Demokratie. Im Begriff der "sozialen Demokratie" liegt der Schlüssel zur Überwindung nationaler Betrachtungshorizonte, denn: "Soziale Demokratie im höchsten Sinne des Wortes bedeutet Internationalismus." "[Es] muß also entweder die fortschrittliche Nation ihre Verbindungen mit dem Ausland abbrechen, den normalen Strom der Konkurrenz und der Handelsbeziehungen abschneiden, sich streng im Rahmen einer despotischen Autarkie einschließen - wie dies Sowjetrußland und Nazideutschland gemacht haben - oder sie muß sich dazu bequemen, Teil eines Ganzen zu werden und ihre eigene Aktion in eine Aktion von universellem Umfang einfügen." Blum ging soweit, einen internationalen Überstaat vorzusehen: "Die internationale Gemeinschaft muß mit den Organen und der Macht versehen sein, die ihr die Erfüllung ihrer Funktionen erlauben. Ich verstehe darunter, daß sie klar und einmütig als ein oberster Staat über den nationalen Souveränitäten eingesetzt wird, und daß infolgedessen die angeschlossenen Nationen von vorneherein und soweit es diese Souveränität verlangt, die Begrenzung oder die Unterordnung ihrer eigenen Souveränität in Kauf nehmen." Das deutsche Problem könne nur im Rahmen einer internationalen Gemeinschaft gelöst werden, die Blum keineswegs nur auf Europa begrenzt. (Quelle zitiert nach: Lipgens, 185-190)

Führender Kopf der Linkskatholiken und der Résistance insgesamt war Henri Frenay. Frenay war Offizier gewesen, und hatte während seiner Zeit in Straßburg 1938 "Mein Kampf" gelesen. Nach der französischen Niederlage blieb er zunächst im französischen Generalstab in Vichy als Hauptmann, bis er Anfang 1941 in Lyon in den Untergrund ging. Frenay hatte nicht nur Mein Kampf gelesen und ernst genommen, sondern auch die Berichte über die KZs in Deutschland. Er machte sich keine Illusionen und motivierte seinen Gang in den Widerstand und Untergrund wie folgt: "Wenn Hitler, wie behauptet wird, der Mann wäre, der, wenn auch mit Gewalt, Europa einigt, und nicht der Dämon, der Leib und Seele vernichtet, würde ich mich als französischer Offizier der deutschen Armee zur Verfügung stellen. So aber muß der Widerstandskampf mit aller Härte aufgenommen werden." (Quelle zitiert nach: Lipgens, 191)

Ende 1941 vereinigten sich die Mitkämpfer um Frenay mit einer Gruppe aus Marseille. Sie nannten sich Mouvement de libération française und gaben die Zeitschrift Combat heraus. In der ersten Nummer riefen sie zum "europäischen Kreuzzug gegen den Nazismus" auf. (Quelle zitiert nach: Lipgens, 192) Gegen Ende des Krieges erreichte Combat Auflagen bis zu 300.000 Ex. Breite Resonnanz fand die studentische Widerstandsgruppe in Paris "Défense de la France", deren gleichnamiges Organ schon anfänglich in 10.000 Ex. verteilt wurde und 1944 Auflagen um 400.000 erreichte. Die meisten Widerstandsgruppen billigten Frankreich eine missionarische Aufgabe zu, selten wurde sie aber so deutlich geäußert wie in der Nr. 12 von Défense de la France, 20.3.1942, eine Nummer, die speziell dem deutschen Problem gewidmet war. "Mit seinem Sturz wird der Nazismus Deutschland dem Kommunismus in die Arme treiben. Damit werden die zivilisierten Nationen vor ein schwieriges Problem gestellt. Soll man Deutschland untergehen lassen oder soll man vielmehr dem, was in diesem Lande gesund geblieben ist, die Hand reichen und versuchen, es vor dem Kommunismus zu retten? [...] Soll man also früher oder später Deutschland retten, soll man diese Nation, die nur immer zerstört hat, vor der eigenen Zerstörung bewahren? [...] Heute geht es um die Frage, ob Deutschland als Ganzes zur Sowjetunion übergehen oder ob es sich, um zu überleben, in die lateinische und angelsächsische Ordnung, d.h. in die zivilisierte Welt, eingliedern wird. [...] Frankreich hätte diesem Deutschland gegenüber eine gewaltige Aufgabe zu erfüllen. Wenn es seinen inneren Halt wiederfindet, wenn es seinen Blick über die Grenzen richtet, anstatt sich selbstgenügsam abzukapseln und seine Kräfte in kleinlichen Zwistigkeiten zu erschöpfen, wenn es sich auf seine Berufung, das Licht der Völker zu sein, besinnt, dann wird es Deutschland die Zivilisation bringen. Ist diesem Lande die Möglichkeit genommen, Schaden anzurichten, so braucht Frankreich ihm gegenüber keine feindselige Haltung mehr einzunehmen." (Quelle zitiert nach: Lipgens, 192f.)

Eine andere Pariser Studentengruppe, weniger konservativ ihrer politischen Herkunft nach als Défense de la France, nannte sich "Volontaires de la Liberté". Im Bulletin Nr. 54 vom 15. Juli 1943 war zu lesen: "Dieser Krieg war und ist kein Krieg der Nationalismen..., sondern dieser Krieg ist ein Krieg der Ideen. Sein Ziel ist nicht die >Bewahrung der Sicherheit< gegen den Angriff eines oder mehrerer Imperialismen, sondern in dieser Welt Schluß zu machen mit jeglichen faschistischen oder nazistischen Regimen. So wird auch das Ziel dieses Krieges nicht dann erreicht sein, wenn die siegreichen Nationen wieder ihre Ruhe haben, sondern es wird erst wieder erreicht sein, wenn eine neue europäische Ordnung geschaffen sein wird anstelle der nazistischen Ordnung. [...] Statt die Sicherheit einiger Nationen gegen andere Nationen zu bewahren, ist es erforderlich, jede Nation einer kollektiven Sicherheit zu unterstellen, die nur durch eine gemeinsame Anstrengung aller Nationen erreicht werden kann." Das Thema wurde im Oktober desselben Jahres noch einmal aufgegriffen. Das wirtschaftliche Panamerika unter Führung der USA wurde als Vorbild ausdrücklich zurückgewiesen: "Bei Europa geht es nicht um diese wirtschaftliche Einheit, die für die amerikanischen Länder das einzig wirksame Bindemittel darstellt, sondern um eine kulturelle und moralische Gemeinschaft, aus der heraus der Krieg eine politische und soziale Einheit entstehen lassen soll." (Quelle zitiert nach: Lipgens, 212-214)

Immer wieder setzte sich die französische Résistance mit der Europa-Propaganda Hitlers auseinander. Emil Janvier, Chefredakteur der Zeitschrift Résistance, die im Westen Frankreichs sehr weite Verbreitung fand, schrieb hierzu am 20. November 1943, zu einer Zeit, als die Nazis angesichts der sich abzeichnenden Niederlage ihre Europa-Propaganda verschärften: "Seitdem das Schlachtenschicksal ihm nicht mehr hold ist, hat Herr Hitler eine neue Berufung in sich entdeckt. Er offenbart sich als "Europäer". Als Europäer kommt er ja vielleicht ein bißchen spät, aber es klingt doch so gut. Weit entfernt vom kleinlichen Nationalismus der Vergangenheit, macht unser Führer den Krieg nicht mehr für nichts und wieder nichts. ganz Europa will er retten, retten vor der jüdisch-pluto-demokratisch-sowjetisch-freimaurerischen Unterdrückung. Rußland? Das ist Asien. England? das ist das Meer. Schalten wir diese beiden Fremdkörper aus, so könnt ihr bald erleben, wie wir uns in dem regenerierten neuen Europa einträchtig beieinander finden werden. Unbestreitbar ist das Ganze gar nicht schlecht gemacht und vor allem gut inszeniert."(Quelle zitiert nach: Lipgens, 215)

Derweil verdichteten sich die Beziehungen zwischen La France libre und der Résistance. Im Sommer 1943 verlegte de Gaulle seine provisorische Regierung, das Comité français de la Libération nationale, von London nach Algier, wo unter dem Druck der Résistance eine provisorische Nationalversammlung zusammentrat. Ein Teil dieser Versammlung rekrutierte sich aus Delegierten der größeren Résistance-Gruppen. In der außenpolitischen Debatte vom 22. November 1943 zeigten sich gravierende Unterschiede zwischen dem Denken der Résistance, das weit über die Restauration des französischen Nationalstaats hinausging, und jenem nationalen vieler Exilfranzosen um de Gaulle, der selber in dieser Debatte nicht das Wort ergriff. André Hauriou, Vertreter des Combat, sagte: "...ich spreche hier im Namen des Widerstandes, denn zwar ist der Widerstand zum Kampf gegen die deutsche Unterdrückung ins Leben gerufen worden, sein Ziel ist es aber auch, sich einer gewissen Auffassung von der Gesellschaft, der Auffassung des Nazismus und der Diktatur, zu widersetzen. Frankreich ist es sich schuldig, das alte geistige Kulturgut der menschlichen Freiheit und Brüderlichkeit zu verteidigen (Sehr richtig! Sehr richtig!). Auf internationaler Ebene findet diese Brüderlichkeit ihren Ausdruck in der Zusammenarbeit zwischen den Nationen..." Mayoux, Delegierter der ostfranzösischen Widerstandsgruppe Lorraine (Nancy) ergänzte: "Heute sehen wir klarer als 1918. Wir werden uns nicht mehr in unsere Abgeschiedenheit zurückziehen. Wir erwägen schon heute mit großem Wohlwollen alle den Nationen vorgelegten Pläne, insbesondere den Plan der Westgruppe, in der Belgien, Holland und vielleicht auch Großbritannien zusammen mit Frankreich die Keimzelle der künftigen Vereinigten Staaten von Europa bilden sollen." Vincent Auriol schließlich, Delegierter der verbotenen sozialistischen Partei, verwies zwar auf die Notwendigkeit eines internationalen 'Netzes der Solidarität und wirtschaftlichen Zusammenarbeit', sah aber wie Mayou in der Schaffung eines Rumpfeuropas die "erste Etappe der europäischen Föderation, die später zu einer internationalen Föderation ausgeweitet werden könnte." (Quelle zitiert nach: Lipgens, 216-218)

Hier zeichnet sich bereits die schrittweise Zurücknahme sehr idealistischer Positionen ab unter dem Eindruck der näherrückenden Niederlage Deutschlands. Henri Frenays Meinung, daß der "europäische Widerstand ... das Band für die Zusammenschlüsse von morgen" sei (Dezember 1943; Quelle zitiert nach: Lipgens, 229), mochten viele teilen, aber bis heute wird heftig darum gestritten, ob dies tatsächlich so ist. Mit der bevorstehenden Befreiung Frankreichs wuchs der Glaube an die französische Mission, was einige Jahre nach Kriegsende dem Anschub europäischer Institutionen zugute kam, andererseits aber die Europaidee zunehmend französisierte. Manche Stimmen erinnern stark an den Sully [2] der 1630er Jahre, der Europa unter französischer Führung neu organisieren wollte, zugleich aber die vollkommene Uneigennützigkeit dieser Pläne betonte und für Frankreich nur den ideellen Wert der Ehre, die Neuordnung organisiert zu haben, beanspruchte. Zentrales politisches Organ der vereinigten Widerstandsgruppen waren die "Cahiers politiques". In der Nr. 5 vom Januar 1944 war zu lesen: "Von Frankreich mehr als von jedem anderen Land können die Parolen ausgehen, die den befreiten Völkern die Hoffnung auf eine europäische Ordnung in Freiheit und Frieden geben werden. Besser als jedes andere Land wird es an der Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa arbeiten können, und besser als durch jedes Versprechen wird es auf Grund des erlebten Unglücks über den Vorwurf des Imperialismus erhaben sein. Die Union Frankreichs mit den anderen befreiten Ländern wird für beide Seiten die beste Garantie gegen eine Bevormundung des Kontinents sein, und beide Seiten werden das gleiche Interesse daran haben. Selbst die Besiegten werden in dieser Union ihren Platz finden, der im einzelnen heute allerdings noch nicht festgelegt werden kann." (Quelle zitiert nach: Lipgens, 231)

Sehr viel deutlicher wurde das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Frankreichs in der Nr. 300 der Humanité vom 9.6.1944: "Wir fordern die Widerstandsbewegung dringend auf zu erklären, daß die Unabhängigkeit Frankreichs und die Wiederherstellung seiner Grandeur, dem geheiligten Wunsche aller unserer Helden entsprechend, das erste und leitende Prinzip der Außenpolitik von morgen sein soll... Solange man uns von dem Superstaat nicht einen Entwurf vorgelegt hat, der erheblich genauer ist und erkennen läßt, wie die Belange der Unabhängigkeit und Größe Frankreichs mit diesem System vereinbar sind, muß diese Vorfrage gestellt werden." (Quelle zitiert nach: Lipgens, 240) Das war die Antwort der KPF auf Europa-Planungen der franz. Sozialisten.

Das heißt keineswegs, daß dies repräsentativ für die Stimmung in Frankreich kurz vor der Befreiung gewesen wäre. Die Stimmen waren vielfältig und trotz aller organisatorischen Zusammenschlüsse letztlich unkoordiniert. Die Widersprüchlichkeit der politischen Strömungen in Frankreich, die die ersten Jahre der Résistance zugedeckt hatte, traten wieder offen zutage.

Text aus: Wolfgang Schmale: Geschichte Frankreichs (UTB), Stuttgart 2000, S. 333ff. (mit freundlicher Genehmigung des Ulmer-Verlages Stuttgart)

Literatur

Lipgens, Walter (Hg.): Europa-Föderationspläne der Widerstandsbewegungen 1940-1945. Dokumentation, München 1968