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Ohne die geringste Furcht vor historischen Abstrusitäten schrieb Novalis (1772-1801) 1799 in "Die Christenheit oder Europa", sein Beitrag zur Debatte um den ewigen Frieden, von dessen Veröffentlichung ihm seine Freunde abrieten: "Es waren schöne glänzende Zeiten, wo Europa ein christliches Land war, wo eine Christenheit diesen menschlich gestalteten Weltteil bewohnte; ein großes gemeinschaftliches Interesse verband die entlegendsten Provinzen dieses weiten geistlichen Reichs." [(Auszug in Dietze 1)] Danach sei Unfriede und Krieg eingezogen, alles Folgen der zumindest zu Zeiten 'schädlichen Kultur' (Kultur schlechthin). Dann: "Mit der Reformation war's um die Christenheit getan. Von nun an war keine mehr vorhanden." Als Grundübel der Zeit seit der Reformation diagnostiziert Novalis den Kampf zwischen Glaube und Wissen. Höhepunkt in diesem Kampf ist die Französische Revolution, die, nach Novalis, eine Zeit völliger Anarchie, den Keim der "Auferstehung" (des Religiösen) in sich trägt. Und nun benutzt Novalis eine Denkfigur, die er und mit ihm andere deutsche Publizisten im Grunde den französischen Revolutionären abgeschaut haben. Diese verstanden sich als Träger einer historischen Mission, die über Frankreich hinausging, besaßen aber eine hohe Anschauung davon, dass sie als Franzosen Träger der europäischen und universalen Mission waren. Bezüglich der von ihm diagnostizierten Situation meint Novalis: "In Deutschland hingegen kann man schon mit voller Gewißheit die Spuren einer neuen Welt aufzeigen. Deutschland geht einen langsamen, aber sichern Gang vor den übrigen europäischen Ländern voraus. Während diese durch Krieg, Spekulation und Parteigeist beschäftigt sind, bildet sich der Deutsche mit allem Fleiß zum Genossen einer höhern Epoche der Kultur, und dieser Vorschritt muß ihm ein großes Übergewicht über die andere[n] im Lauf der Zeit geben." Novalis formuliert einen deutsch geprägten Europagedanken, während sich zur selben Zeit Napoleon anschickt, ein französisch geprägtes Europa zu schaffen. Dies geht über die tradierte Interessengeleitetheit des Europagedankens hinaus, es bedeutet eine Art Nationalisierung der Europaidee, mit der allerdings ein erhebliches Maß an politischer Schubkraft verbunden war.

Text: Wolfgang Schmale, Geschichte Europas (UTB), Wien 2001, S. 94(mit freundlicher Genehmigung des Böhlau-Verlages Wien)


1) Dietze, Anita/Dietze, Walter (Hg.): Ewiger Friede? Dokumente einer deutschen Diskussion um 1800, München: Beck, 1989

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