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Zunächst jedoch sollte die 1815 zwischen Österreich, Preußen und Rußland geschlossene Heilige Allianz, der später noch weitere europäische Staaten beitraten, den Platz Rußlands in Europa bezeichnen. Da inzwischen Asien längst nicht mehr so positiv gesehen wurde, wie zeitweise in der Aufklärung des 18. Jh., kam Rußland auch die Funktion eines Mittlers europäischer Kultur nach Asien hinein zu. Die Heilige Allianz knüpfte an die ältere Idee der "république chrétienne" an, nun aber im Kontext romantischer Christentumsvorstellungen. Insoweit es bei diesen auch darum ging, die konfessionellen Gegensätze zwischen Katholizismus und Protestantismus sowie russisch-orthodoxem Glaubensbekenntnis durch ein nicht konfessionell gespaltenes Christentum zu überwinden, besaß dies durchaus pragmatischen Charakter, denn trotz fortschreitender Säkularisierung des Denkens war dieses weiterhin prinzipiell christlich geprägt und durchzog sämtliche Bevölkerungsschichten. Aber der von der Heiligen Allianz gewählte Ansatz eines Europas der Untertanen und Fürsten war verfehlt und kurzsichtig. Eine Verknüpfung des Gedankens an ein christliches Europa mit dem Prinzip der Volkssouveränität, das in Restauration und Vormärz mit physischer Gewalt von oben niedergehalten wurde, hätte diesem Ansatz vermutlich größere Erfolgsaussichten verschafft. Dass in der Akte der Heiligen Allianz von "christlicher Nation" geredet wurde, änderte nichts an der obrigkeitlichen Perspektive.
Da aber, seitdem das Zeitalter der Massenmedien angebrochen war, nichts geschehen konnte, ohne unverhoffte Fernwirkungen zu erzeugen, animierte auch die Idee der Heiligen Allianz Diplomaten und Staatsphilosophen zu davon ausgehenden, aber weiterführenden Europakonstruktionen. Einer davon war der deutsch-dänische Publizist und Diplomat Conrad Friedrich von Schmidt-Phiseldek, ein kommunikationsintensiver Mensch, der sich umfassend wie kaum andere mit der politischen Identität Europas im frühen 19. Jh. auseinandersetzte. Bezeichnend ist der Titel einer seiner Schriften: "Europa und Amerika oder die künftigen Verhältnisse der zivilisierten Welt" (Kopenhagen 1820), auf die 1821 die Schrift "Der Europäische Bund" folgte. "Nichts läßt Schmidt-Phiseldek außer acht, was die Notwendigkeit, ja bereits das Bestehen der europäischen Einheit beweist, vom Verkehr bis zur "Gleichheit des geistigen Kulturstands von Europa". (…) Kein Staat kann durch Krieg mehr vom andern gewinnen, vielmehr sei es für alle Nationen geboten, sich zu einer europäischen Föderation zusammenzuschließen. Die Einzelheiten eines solchen europäischen Bundes hat der staatsgelehrte Verfasser mit einer Ausführlichkeit durchdacht und dargelegt, als ob er sie in Form einer Gesetzesvorlage vor einem europäischen Parlament einbringen müßte. Da werden ein europäisches Bundesheer und eine Bundesmarine vorgeschlagen, ein Kongreß der Nationen, eine gemeinsame europäische Flagge, eine einheitliche Rechtsverfassung, Herstellung eines neuen für Europa allgemein geltenden Münzfußes, gemeinschaftliche Erziehungs- und Bildungsmaßnahmen, schließlich die Errichtung einer europäischen Hochschule." (Gollwitzer1 [1] S. 243)
Text: Wolfgang Schmale, Geschichte Europas (UTB), Wien 2001, S. 97-98 (mit freundlicher Genehmigung des Böhlau-Verlages Wien)