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'Ergebnisse der französischen Stahlpolitik'
 
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Ergebnisse der französischen Stahlpolitik

Die Änderung der politischen Mehrheitsverhältnisse von 1981 in Frankreich war Voraussetzung für die Nationalisierung des gesamten Stahlsektors, die Anfang des Jahres 1982 erfolgte. Allerdings darf dieser Einfluss nicht überbewertet werden, denn die Nationalisierung [1] war bereits unter der vorhergehenden Regierung ausgehandelt worden. Letztlich hat die Nationalisierung wahrscheinlich die französische Eisen- und Stahlindustrie gerettet, dies freilich zu immensen finanziellen und sozialen Kosten. In Nord-Pas-de-Calais kann man sogar von einer sozialen Katastrophe sprechen, trotz erheblicher Investitionen im lokalen Maßstab. Selbst wenn man auf regionaler Ebene von einigermaßen akzeptablen Lösungen sprechen kann, so bedeutet doch die territoriale Umstrukturierung in gleichem Maße eine Marginalisierung der Mikro-Regionen und grundlegende Veränderungen in der Struktur und in den Produktionsprozessen des Stahlsektors auf regionaler und auf nationaler Ebene.

Abbildung 25:

Bevölkerung in sozial-prekärer Situation in der Region Nord-Pas-de-Calais 1999

 

 

 

Internet-Quelle [2]

Bis zur Reprivatisierung 1995 waren die speziellen Beziehungen der französischen Eisen- und Stahlindustrie mit den staatlichen Behörden sowohl für den Wirtschaftssektor als auch für die Region Nord-Pas-de-Calais von besonderer Bedeutung. Namentlich vor Beginn der Krise, die nach 1974 offensichtlich wird, hat die Region Nord-Pas-de-Calais indirekt von den öffentlichen Darlehen insofern profitiert, als sie eine der Grundlagen für die Errichtung des ersten küstenbezogenen Eisen- und Stahlkomplexes Frankreichs bei Dünkirchen darstellten (20). Zum damaligen Zeitpunkt stand die Region gleichbedeutend für Innovationen im Bereich der Stahlproduktion, indem hier die modernsten Anlagen ihrer Art mit Produktivitätszahlen entstanden, die weit über denen der traditionellen lothringischen Konkurrenzstandorte lagen. Dennoch sind damals Fehler begangen worden, indem der Staat aus politischen und sozialen Gründen konsequent auf die Schließung der veralteten Unternehmen verzichtete. Die finanzielle Abhängigkeit und die Furcht vor den sozialen Folgen verhinderten innerhalb des Sektors zunächst Entscheidungen, die wenig später dennoch getroffen werden mussten.

Die Konsequenzen der Krise auf die allgemeine Struktur der französischen Eisen- und Stahlindustrie sind höchst bedeutsam: die unabwendbare Konzentration führte zum Überleben von nur zwei Unternehmen, Usinor und Sacilor, die alle anderen absorbierten. Diese Umstrukturierung hatte tragischere Folgen in Lothringen als im Nord-Pas-de-Calais, wo die Beschäftigungslage stabil gehalten, sogar noch verbessert werden konnte. Aber diese Neuschaffungen sind nicht unmittelbar der Region zu Gute gekommen, denn ihre Besetzung erfolgte zumindest teilweise durch Arbeiter und Ingenieure, die in den lothringischen Unternehmen ihren Arbeitsplatz verloren hatten.

Im Jahre 1987-1988 schien der Umstrukturierungsprozess für die Region positive Wirkungen zu zeigen, die Betriebsergebnisse von Usinor hatten sich verbessert. Mit der Umsetzung der sog. Regionalisierung ab 1982 und den damit verbundenen Verträgen zwischen der Zentralregierung und den Regionen zeichnete sich ein positiver Trend hinsichtlich der Wirksamkeit der finanziellen Regionalförderung ab, auch wenn die Kriterien für deren Vergabe nicht immer einheitlich waren. Wichtigstes Anliegen dieser Programme blieb die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Jedoch wird rasch deutlich, dass die Auswirkungen innerhalb der Region sehr ungleich waren und dass sich in den alten Bergbaurevieren die Verhältnisse eher verschlechterten, während das Gebiet um Dünkirchen von der Entwicklung profitierte, indem sich hier die neuen Unternehmen günstig weiterentwickelten. Dem standen schmerzhafte Schließungen im Gebiet zwischen Valenciennes und Denain gegenüber, das ohnehin durch die Kohlenkrise bereits sehr geschwächt war. An der Küste vollzog sich unter dem Einfluss von Sollac-Atlantique auf lokaler Ebene eine dynamische Entwicklung. Aber es ist eine exogen gesteuerte Entwicklung, die zugunsten der großen und auf Kosten der kleinen und mittleren Unternehmen erfolgt.

Abbildung 26:

Das Stahlwerk Sollac in Dünkirchen bei Nacht

 

 

 

Internet-Quelle [3]

Die Bilanz am Ende der Krise lässt eine weitgehende technische Anpassung der französischen Eisen- und Stahlindustrie gegenüber ihren Konkurrentinnen erkennen - die sie inzwischen sogar aufgrund einer raschen und kontinuierlichen Modernisierung seiner Ausstattung gelegentlich übertrifft. Derzeit steht man vor der unmittelbaren Fertigstellung moderner Direktreduktionsverfahren, was künftig die Existenz von Hochöfen überflüssig macht und was gleichzeitig eine grundlegende Veränderung der Wettbewerbssituation bewirken müsste. Schon jetzt zeichnen sich deutliche Verbesserungen in den Erfolgsbilanzen ab. Der Slogan von Francis Mer (21): "Mit Stahlherstellung Geld gewinnen" ist mit den ersten Gewinnen der Usinor-Gruppe 1988 wieder Wirklichkeit geworden. Nach einer zweite "Krise", die sich durch die Überverschuldung im Zuge der Expansion des Unternehmens ergeben hatte, hat die Gruppe 1995 ihr Gleichgewicht wiedergefunden, indem man sich nunmehr auf die Herstellung von Produkten mit hohem Mehrwert konzentrierte. Außerdem ist das Unternehmen wieder reprivatisiert worden (nachdem der Staat lediglich rd. 10 Mrd. Francs hat zurückgewinnen können, das heißt nur ein Achtel der Summe, die er während der Krise zur Stützung des Unternehmens investiert hatte). 

Abbildung 27:

28 Mrd. Francs (einschl. der europäischen Mittel), das ist die Gesamtsumme, der der Region Nord-Pas-de-Calais für eionen Zeitraum von 7 Jahren für die Entwicklung im Rahmen des Planabkommens 2000-2006 zur Verfügung gestellt hat. Dieser Betrag wurde bisher nie einer einzigen Region zugewiesen und plaziert diese an 1. Stelle innerhalb Frankreichs.

Internet-Quelle [4]

Das (provisorische) Ende des Abbaus von Arbeitsplätzen schien in dieser Phase erreicht: im Jahre 1996 hat Usinor-Sacilor sogar 600 Jugendliche neu eingestellt. Allerdings kündigten sich im Jahre 2003 erneut Arbeitsplatzverluste [5] an, die nunmehr mit der Neustrukturierung der Unternehmensgruppe im europäischen bzw. im globalen Maßstab begründet wurden. Die nationale Konzentration, die Vorläufer wurde für eine neue europäische Konzentration, hat dem französischen Großunternehmen mittlerweile hinsichtlich der Produktion den Spitzenplatz weltweit beschert, zweifellos ein Ergebnis einer hervorragenden wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit trotz der damit verbundenen sozialen Kosten. Die Erneuerung und die Modernisierung des Stahlsektors sind in Frankreich inzwischen zur Realität geworden, wobei der Sektor jedoch seine ehemalige Sonderstellung eingebüßt hat. Er ist nicht mehr der "Übersektor" von einst, nicht mehr Synonym von nationaler Kraft und von Unternehmern, die sich außerhalb jeder Normen bewegten.

Wie kann diese Neuorientierung der französischen Eisen- und Stahlindustrie erklärt werden? Wahrscheinlich nur durch das Zusammentreffen verschiedener Faktoren: die Änderung von Mentalitäten, von Unternehmern, von Unternehmensstrukturen, von Arbeitsmethoden. All dies bedeutet eine echte Revolution in diesem Sektor. Jedoch bleiben die Spannungen nicht unsichtbar, insbesondere bleibt der Wettbewerb extrem scharf, die aktuellen Probleme mit den Amerikanern verändern den Markt und der derzeitige Einstellungstopp wird rasch eine Überalterung der Beschäftigtenstruktur bewirken, was künftige Entwicklungen belasten könnte. Es ist also trotz seines Erfolges ein Sektor, der empfindlich bleibt.

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Anmerkungen

(20) Stichwort "nasse Hütte"

(21) Vorstandsvorsitzender von Usinor.