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'Das Frankreichbild in Deutschland '
 
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Das Frankreichbild in Deutschland

Spontanäußerungen deutscher Schüler über Frankreich:
Menschen sind offener und freier, Vorurteile gegen Deutsche, Nazifilme, Guillotine, schöne Strände, schöne Frauen, bisschen dreckig, Land der Weine, Zigaretten, mehr Vergnügen als Pflichten, Champagner, Urlaub, Franzosen sind unordentlich, temperamentvoll, nationalbewusst, guter Käse, Betten eine Katastrophe, Schulen streng, Französisch schwerer als Deutsch, Tour de France, Frankreich liegt südwestlich von Berlin, schöne Strände, Landschaft sehr vielfältig, Austernzucht, Burgen, Schlösser, große Hinkelsteine, alte Grabstätten, Kirchen, Camargue, hohe Berge, klares Meer, Kette von Schlössern, La Grande Motte, in der Bretagne traditionelle Trachten, Bretonen haben eigene Sprache, wilde Pferde ...

Quelle: Praxis Geographie, 6, 1982, S. 3. 

Auch das Frankreichbild in Deutschland ist durch unterschiedliche Wahrnehmungsmuster geprägt (vgl.: Lüsebrink, 1990, S. 302), die sich im Laufe der Zeit immer wieder gewandelt haben. Frankreich ist bekannt für seine Kultur und seine Küche, beliebt sind der Charme und das sprichwörtliche "savoir vivre" (vgl.: Preisinger, 1999, S.134). Mangelndes Hintergrundwissen führt jedoch allzu oft zu stereotypen Fehlbeurteilungen. Fehlende Kenntnisse der politischen Strukturen oder der französischen Geschichte führen oft zu vorschnellen Erklärungsmustern, wenn es etwa um die sog. "Streiklust" oder den "nationalen Egoismus" der Franzosen geht (vgl.: Lüsebrink, 1990, S. 304).

Einige Beispiele über die Vorurteile gegen die Franzosen, die vor allem den Franzosenhaß des 19. Jahrhunderts geschürt haben, hat J. von Uthmann (Vorurteile halten warm, Hamburg 1995) zusammengestellt.

"Ich will den Haß gegen die Franzosen, nicht bloß für diesen Krieg, ich will ihn für lange Zeit, ich will ihn für immer. Dann werden Teutschlands Gränzen auch ohne künstliche Wehren sicher seyn, denn das Volk wird immer einen Vereinigungspunkt haben, sobald die unruhigen und räuberischen Nachbarn darüber laufen wollen. Dieser Haß glühe als die Religion des teutschen Volkes, als ein heiliger Wahn in aller Herzen, und erhalte uns immer in unserer Treue, Redlichkeit und Tapferkeit.
(E.M. Arndt, Über Volkshaß und über den Gebrauch einer fremden Sprache, 1813)

"Dieser elendeste romanische Jargon, diese schlechteste Verstümmelung lateinischer Worte, diese Sprache, welche auf ihre ältere und viel edelere Schwester, das Italiänische, mit Ehrfurcht hinaufsehen sollte, diese Sprache, welche den ekelhaften Nasal en, on, un zum ausschließlichen Eigenthum hat, wie auch den schluckaufartigen, so unaussprechlich widerwärtigen Accent auf der letzten Silbe - diese armsälige Sprache wird als langue classique neben das Griechische und Lateinische gestellt. Ich fordere ganz Europa zu einer générale huée (einem allgemeinen Hohngelächter), um diese schamloseste aller Gecken zu demüthigen"
(Arthur Schopenhauer, Parerga und Paralipomena, 1851)

"Frankreich ist eine Nation von Nullen, eine Herde; sie haben Geld und Eleganz, aber keine Individuen, kein individuelles Selbstgefühl. Alles ist bei den Franzosen großartige Stellung, pompöse Redensart, imponierende Miene, wie auf dem Theater. Wenns nur echt klingt und nach etwas aussieht - der Inhalt ist einerlei."
(Otto v. Bismarck, Tischgespräche 1870/71)

Geradezu faszinierend ist die Unhöflichkeit der Ladenbesitzer, der Kellner, der Kutscher und aller derjenigen Leute, die eigentlich im Interesse ihres Geschäftes zum Entgegenkommen gezwungen sind."
(F. Sieburg, Gott in Frankreich, 1929).

Auch einige geographische Quellen sind aufschlussreich:

"Die allgemeine Bildung bei den Franzosen ist nicht hoch anzuschlagen, die Unkenntnis in wirtschaftlichen Fragen ist selbst unter den intelligentesten Franzosen erstaunlich, und darin machen die Politiker keine Ausnahme! Nicht die elementarsten Probleme des Wirtschaftslebens werden verstanden. Das Oratorische hatte in der französischen Politik immer einen verhängnisvollen Einfluss."
(E. Scheu, Frankreich, 1923)
"An den Zuständen mag die allgemeine Unbildung des französischen Bauerntums mit Schuld haben. Wohl hat die Dritte Republik durch das Unterrichtsgesetz von Jules Ferry die allgemeine Schulbildung eingeführt, aber die allgemeine bäuerliche Hartnäckigkeit, der Widerstand der Geistlichkeit gegen die Staatsschule und die geschichtliche Abneigung der Bauern gegen die Obrigkeit hemmen die Auswirkungen dieses Gesetzes so sehr, dass noch heute jede Rekrutenaushebung Analphabeten und Halbanalphabeten in beträchtlicher Menge feststellen muß."
(Handbuch für Auslandskunde I, 1930.)

So existiert in Deutschland oft ein zweigeteiltes Bild: Auf der einen Seite wird den Franzosen Temperament und Esprit, Weltläufigkeit und Verve zugeschrieben. Auf der anderen Seite gelten sie als unberechenbar, unzuverlässig und ungeduldig, als kapriziös, egoistisch und arrogant, ja sogar dumm. Franz Kafka hat das zwiespältige Verhältnis 1910 auf den Punkt gebracht: "Wenn die Franzosen ihrem Wesen nach Deutsche wären, wie würden sie dann erst von den Deutschen bewundert sein." (zitiert nach Preisinger, 1999, S.137)

Die spezifischen Formen und Varianten der heutigen Frankreichwahrnehmung werden u.a. durch Reiseprospekte, Zeitungen und Zeitschriften, natürlich auch das Fernsehen und andere Medien geprägt. Die Reiseprospekte basieren auf dem "touristischen Frankreichbild" der deutschen Bevölkerung. Sie zeigen bauliche Sehenswürdigkeiten, pittoreske Landschaften, Sportaktivitäten und die Spezialitäten der französischen Gastronomie. Der Anteil der Illustration zu den Bereichen Wirtschaft und Industrie ist jedoch sehr gering. Er liegt niedriger als in den entsprechend deutschen, holländischen oder italienischen Reiseprospekten.

Nicht anders sieht es in den Schulbüchern [1] aus. H. Ragellers hat sich 1972 mit dem Frankreichbild der gebräuchlichen deutschen Französischlehrbüchern der Unter- und Mittelstufe befasst. Er kritisierte die "tiefsitzenden und zählebigen" Traditionen der schulischen Frankreichwahrnehmung in Deutschland. Seiner Ansicht nach findet eine Konzentration auf Paris statt, die Industrie und Wirtschaft wird vernachlässigt und lediglich die soziale Position der französischen "Durchschnittsfamilie", die im allgemeinen dem gehobenen Mittelstand entstammt, wird einigermaßen korrekt dargestellt.

R. Riemenschneider kritisierte 1980 bei dem Französischlehrbuch "Etudes Françaises" eine Anzahl überholter oder falscher Faktenangaben. Das dargebotene Frankreichbild bestehe aus "folkloristischen Bildern eines beschaulichen Frankreichs", die die "französische Gesellschaft als eine von katholischer Frömmigkeit geprägte Mittelstandsgesellschaft" erscheinen lasse. Spektakuläre, von Boulevard- und Tagespresse bevorzugten Ereignisse wie der Stapellauf der "France" oder die Besteigung des Eifelturms werden herausgehoben, und der Alltag, wie er von Millionen Menschen gelebt wird, findet in "Etudes Françaises" nicht statt. Aufgrund dieser Tatsache entstehen Mängel an Kenntnissen über die französische Geschichte und an Informationen über das gegenwärtige soziale und politische Leben Frankreichs. Vielen Frankreichlehrbüchern sind diese Mängel gemeinsam.

Auch von geographischer Seite sind in den vergangenen Jahren immer wieder Schulbücher im Hinblick auf die "Frankreichdarstellung" analysiert worden. Dabei fällt auf, dass es oft nur wenige Themen sind, die unser Nachbarland behandeln: "Frankreichs Ruhrgebiet am Mittelmeer", "Paris als Hauptstadt", "die Camargue" und einige wenige mehr. Die Behandlung ist dabei allzu oft klischeehaft. Hinter dem Ruhrgebiet am Mittelmeer verbirgt sicht das Stahlwerk Sollac [2] in Fos, das oft als Paradebeispiel einer Verlagerung der Schwerindustrie an die Küstenstandorte interpretiert wird, wobei die vielen Probleme, die sich mit dem Fall Fos verbinden, meist unausgesprochen bleiben. Paris wird oft als "Postkartenmotiv" (Eiffelturm, Notre-Dame, Sacré Coeur) behandelt, gelegentlich ergänzt durch die Villes Nouvelles [3] , ein besonders beliebtes Thema in deutschen Geographielehrbüchern. Die eigentlichen Probleme werden auch hier nur selten erfasst oder in ihrem Sinnzusammenhang erläutert.

Im Gegensatz zu den Reiseprospekten und den Schulbüchern beschäftigt sich die Presse mit politischen Ereignissen sowie mit kulturellen und wirtschaftlichen Themen. Aber der hohe technologische Standard wird dennoch vernachlässigt, so dass Frankreich in der deutschen Presse oft als ein schwacher Partner Deutschlands präsentiert wird. Die Zeitungen und Zeitschriften präsentieren zwar ein facettenreiches Bild von Frankreich und den Franzosen, bedienen sich aber allzuoft gängiger Stereotypen. Diese reichen von gelassenen Genießern und stolzen Staatsbürgern über Streik- und Streitlust bis hin zum leidenschaftlichen Land der Liebe und zur Heimat von Käse und Croissant, Wein und Weißbrot (vgl.: Preisinger, 1999, S.135).

Neben dem Mangel an Informationen, Sprachkenntnissen und der Gefahr des Transfers stereotyper Wahrnehmungsformen ist die zunehmende Unfähigkeit zur problemorientierten und historischen Fremdwahrnehmung das derzeit größte Hindernis auf dem Wege zu einer neuen, adäquaten und breitenwirksamen Frankreichwahrnehmung in Deutschland (vgl.: Lüsebrink, 1990, S. 317). Inwieweit dies im Zuge des europäischen Integrationsprozesses eine Rolle spielt, ist derzeit nur schwer einschätzbar.