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'Umwelt und Ausrichtung der Energiepolitik'
 
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Umwelt und Ausrichtung der Energiepolitik

Im Laufe der 1980er Jahre nehmen Umweltfragen einen immer größeren Platz in der energiepolitischen Diskussion ein, allerdings haben sie in Frankreich und Deutschland bei weitem nicht den gleichen Einfluss. Die 1981 neu gewählte Linksregierung in Frankreich stellt die Umweltschützer zufrieden, weil das Bauvorhaben eines Kernkraftwerks in Plogoff, in der Nähe der Pointe du Raz, aufgegeben wird. Darüber hinaus erfolgt keine Einschränkung des französischen Nuklearprogramms. Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 entwickeln sich die Energiepolitiken Frankreichs und Deutschlands immer weiter auseinander. In Deutschland liefert der Unfall in dem ukrainischen Kraftwerk entscheidende Argumente für die Kernkraftgegner. Die Betriebsgenehmigung für den Schnellen Brüter in Kalkar wird vom nordrhein-westfälischen Landtag aufgehoben. Er entscheidet sich für eine Wende in der Energiepolitik. Außerdem wird das Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich bei Koblenz (Rheinland-Pfalz) abgestellt. Von den insgesamt 19 in der Bundesrepublik gebauten Reaktoren gingen die jüngsten 1988 ans Netz.

Abbildung 6:

Plakat aus dem Jahr 1977: Aufruf zu einer Demonstration gegen den Schnellen Brüter in Kalkar.

 

 

 

 

 

 

Internet-Quelle [1]

Abbildung 7:

Die Anlage in Kalkar wird heute als Freizeitpark genutzt.

 

 

 

 

 

 

Internet-Quelle [2]

In Frankreich wird das Nuklearprogramm durch Tschernobyl nicht in Frage gestellt, sondern trotz verschiedener Regierungswechsel fortgesetzt. Von den 58 französischen Reaktoren wird die Hälfte nach 1986 in Betrieb genommen. Hierdurch kann die Stromerzeugung durch Kernenergie von 224 TWh im Jahr 1985 auf 441 TWh im Jahr 2003 verdoppelt werden. Das jüngste Kernkraftwerk Civaux sur la Vienne geht 1999 ans Netz. Damit verfügt Frankreich über die zweitgrößte Zahl an Kernkraftwerken [3] weltweit mit einer Installierten Leistung von 63183 MW. Dies ist nahezu drei Mal so viel wie in Deutschland, das weltweit vor Russland an vierter Stelle steht. Die Kernenergie liefert damit beinahe 80% der Stromproduktion des Landes, wobei Strom seit Beginn der 1980er Jahre sogar in wachsendem Maße in Länder exportiert wird, deren Produktion für den Eigenbedarf nicht ausreicht, wie Italien, Spanien, England oder Deutschland. 2002 hat Frankreich beispielsweise 77 TWh (15% seiner Produktion) exportiert, d. h. eine Menge, die dem gesamten Stromverbrauch eines Landes wie Belgien entspricht. (Zu Energie in Frankreich siehe die Website des Industrieministeriums [4] : ministère de l'industrie und insbesondere die chiffres clés (Schlüsselzahlen [5] ) zur Energie in Frankreich. Informationen über die französischen Kernkraftwerke kann man unter der Website: http://nucleaire.edf.fr [6] finden.)

Abbildung 8:

Das Kernkraftwerk Chooz in einer Flussschleife der Mosel im äußersten Norden des Departements Ardennes umfasst zwei Reaktorblöcke von 1450 MW, die 1996 und 1997 in Betrieb genommen worden sind. Im Jahr 2002 hat es eine Leistung von 19,4 TWh erbracht..

Internet-Quelle [7]

Abbildung 9:

Das Kernkraftwerk Cattenom im Departement Moselle.

Es umfasst 4 Reaktoren von 1300 MW, die 1986 bis 1991 ans Netz gingen, und ist eines der beiden produktivsten Kernkraftwerke Frankreichs. 2002 hat es 36,5 TWh geliefert, also 6,5% der gesamten Stromerzeugung. Die vier Kühltürme von 165 m Höhe begrenzen die Entnahme von Kühlwasser aus der Mosel auf 9 m3/s, ohne solche Anlagen würde 20 bis 30 Mal mehr Wasser benötigt. Augrund seiner grenznahen Lage zu Deutschland und Luxemburg wird das Atomkraftwerk Cattenom von den Umweltbewegungen, vor allem in Deutschland, heftig kritisiert.

Internet-Quelle [8]

Abbildung 10:

Entwicklung des Primärenergieverbrauchs in Frankreich.

 

 

 

 

 


Quelle: Michel Deshaie

Aufgrund des Ausbaus der Kernenergie auf ein Niveau, das weltweit ohnegleichen ist, konnte Frankreich seine Abhängigkeit von Energieimporten erheblich reduzieren. Sie liegen heute nur noch bei 51%. Dieses Ergebnis ist umso beachtlicher, da der Verbrauch von Primärenergie [9] (www.industrie.gouv.fr [10] ) des Landes seit 1973 um 50% gestiegen ist. Anders ausgedrückt: Zwischen 1973 und 2003 wurde die Energieproduktion durch französische Ressourcen praktisch vervierfacht, obwohl gleichzeitig die Kohleproduktion eingestellt worden ist und im Jahr 2004 die letzte Zeche, die Grube von La Houve in Lothringen, geschlossen wurde. (Zur Entwicklung der Kohleförderung in Frankreich und zur Schließung von La Houve [11] , siehe: www.charbonnagesdefrance.fr [12] )

Abbildung 11:

Die Anlage von La Houve im lothringischen Steinkohlebecken, der letzten französischen Kohlegrube, die im April 2004 geschlossen worden ist.

 

 

Internet-Quelle [13]

Eine Verschiebung hat ebenfalls bei den Energieeinfuhren stattgefunden. Der Anteil des Erdöls am Primärenergieverbrauch ist kontinuierlich gesunken und hat im Jahr 2002 nur noch 35% betragen gegenüber 67% im Jahr 1973. Diese Entwicklung erfolgte trotz eines erheblichen Anstiegs des Ölverbrauchs im Verkehrssektor, in dem heute doppelt so viel wie 1973 konsumiert wird. Dagegen hat sich der Verbrauch von Erdgas, das zunehmend für Heizungen im Privatbereich genutzt wird (circa ein Drittel des Verbrauchs privater Haushalte), seit 1973 verdreifacht. In Steinkohleeinheiten ausgedrückt macht der Erdgasverbrauch heute fast die Hälfte des Ölverbrauchs aus.

Abbildung 12:

Das Großkraftwerk Weisweiler in der Kölner Bucht in Nordrhein-Westfalen wird durch Braunkohle betrieben, die in Inden gefördert wird. Es hat eine Installierte Leistung von 2 258 MW.

 

Internet-Quelle [14]

In Deutschland ist die Entwicklung ganz anders verlaufen und wurde durch zwei Ereignisse geprägt: den Schock der Tschernobyl-Katastrophe und vor allem die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten. Die Energiebilanz [15] des wiedervereinten Deutschlands sieht 1990 folgendermaßen aus: Braunkohle und Steinkohle überwiegen mit einem Anteil von 37% des Primärenergieverbrauchs, knapp gefolgt von Erdöl (35%). In den Jahren nach der Wiedervereinigung wird allerdings der Anteil der Braunkohle enorm reduziert, weil der Energiesektor in den neuen Ländern vollständig umstrukturiert wird. Der Zusammenbruch der Industrie in Ostdeutschland, die Schließung von Wärmekraftwerken oder ihre Modernisierung nach Umweltstandards führen zu einem drastischen Rückgang der Braunkohleproduktion von 300 Mio. Tonnen im Jahr 1989 auf 80 Mio. Tonnen 1996. Dagegen behält in Westdeutschland die Produktion von Braunkohle im Rheinland ein konstantes Niveau von circa 100 Mio. Tonnen jährlich. So nimmt der Anteil an Braunkohle in der Energiebilanz des Landes erheblich ab und beläuft sich im Jahr 2001 auf nur noch 11%, d. h. er ist geringer als der Anteil an Steinkohle (13,5%). Dennoch spielt Braunkohle in der Stromproduktion eine erhebliche Rolle, sie folgt unmittelbar der Kernenergie und rangiert noch vor der Steinkohle: Braunkohlekraftwerke liefern 29% des Stromverbrauchs in Deutschland.

Abbildung 13:

Die Energieträger der Stromproduktion in Deutschland im Jahr 2002
(Beachtenswert ist, dass Festbrennstoffe wie Steinkohle oder Braunkohle 51% zur Stromproduktion beitragen).

 

Quelle: Michel Deshaies. 

Festzustellen ist, dass die nach der Wiedervereinigung erfolgten Umstrukturierungen die Rolle der Braunkohle als nahezu ausschließliche Basis der Stromproduktion in den neuen Bundesländern nicht in Frage gestellt hat. Im Jahr 2002 lieferte die Braunkohle 87% der Elektrizität in den neuen Ländern, d. h. sogar etwas mehr als zu Zeiten der DDR. Durch den Niedergang der Industrie ist dagegen ihr Gesamtverbrauch um ein Drittel zurückgegangen. In den alten Bundesländern trägt die Braunkohle nur mit 20% zum Stromverbrauch bei, jedoch spielt sie in Nordrhein-Westfalen eine wichtige Rolle, wo ihre Quote bei 45% liegt.

Abbildung 14:

Das Braunkohlekraftwerk Schwarze Pumpe in der Niederlausitz (DDR) zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung zeigt beispielhaft die extreme Umweltverschmutzung durch die damalige Verbrennung von Braunkohle.

 

 

 

 

 

Internet-Quelle [16]

Die Wiedervereinigung führt außerdem zu einem beachtlichen Anstieg des Erdölverbrauchs, der in wenigen Jahren von 33,5% der Energiebilanz des Jahres 1989 auf 40,5% im Jahr 1993 zunahm. Er ging erst 2001 leicht zurück. Diese spektakuläre Entwicklung ist nicht nur ein statistischer Effekt, der auf die Reduktion des Gesamtenergieverbrauchs nach dem industriellen Niedergang Ostdeutschlands zurückzuführen ist. Sie ist auch verursacht worden durch ein absolutes Wachstum des Ölverbrauchs (um 20 Mio. Tonnen Steinkohleeinheiten) aufgrund der beträchtlichen Zunahme an Kraftfahrzeugen und des Individualverkehrs in den neuen Bundesländern. Diese Entwicklung hat erheblich dazu beigetragen, die Abhängigkeit des Landes von Energieimporten auf derzeit 62% zu erhöhen.

Abbidung 15:

Das neue Wärmekraftwerk Schwarze Pumpe mit einer Leistung von 1600 MW ist 1998 in Betrieb genommen worden und zeigt, welch riesige Investitionen in den neuen Ländern geleistet worden sind, um weiterhin Braunkohle als Energiequelle zu nutzen und dabei die Luft so wenig wie möglich mit Schadstoffen zu belasten.

Internet-Quelle [17]

Aufgrund der Tatsache, dass in Frankreich und Deutschland zunehmend auf andere Energieträger gesetzt wurde, ist die Abhängigkeit von Energieimporten zu Beginn des 21. Jahrhunderts längst nicht mehr so groß wie im Jahr 1973. Frankreich, das drei Viertel seines Energiebedarfs importierte, ist es mit Hilfe eines sehr ehrgeizigen Kernenergieprogramms gelungen, seine Importabhängigkeit auf lediglich die Hälfte des Energiebedarfs zu reduzieren, obwohl sein Verbrauch stark zugenommen hat. Deutschland, in dessen Böden mehr Energieressourcen wie Steinkohle und Braunkohle lagern, war 1973 weniger abhängig als Frankreich. Dieser Umstand versetzte es in die Lage, dem Druck der Umweltschützer nachzugeben und auf einen stärkeren Ausbau der Kernenergie zu verzichten. Stattdessen erhielt es eine Produktion auf verschiedenen Standbeinen aufrecht, wobei Steinkohle und Braunkohle immer noch die Hälfte der Elektrizität liefern.

Abbildung 16:

Entwicklung des Primärenergieverbrauchs in Deutschland.

 

 

 

 

 

 

 

 

Quelle: Michel Deshaies 

Während jedoch die Braunkohle eine nationale Ressource darstellt, die wirtschaftlich rentabel abgebaut werden kann, gilt dies für die Steinkohle nicht. Deren Förderkosten sind in Deutschland verglichen mit dem Weltmarktpreis drei Mal so teuer. Die deutsche Kohleproduktion, die über ein teures Subventionssystem (den "Kohlepfennig") künstlich aufrechterhalten worden ist, lag bis in die Mitte der 1980er Jahre bei über 80 Mio. Tonnen (gegenüber 97 Mio. Tonnen 1973). Seitdem hat sich ihr Rückgang beschleunigt, insbesondere nach der Wiedervereinigung, deren hohe Kosten eine gleichzeitige Subventionierung der Kohleindustrie immer schwieriger gestaltete. Die deutlichen Empfehlungen der Europäischen Kommission in Brüssel haben ein Übriges getan. So beläuft sich die Kohleproduktion im Jahr 2003 auf nur noch 26 Mio. Tonnen, und seit 2001 sind die Einfuhren (36 Mio. Tonnen im Jahr 2001) größer als die deutsche Produktion.

Abbildung 17:

Entwicklung der Produktion und der Importe von Kohle in Deutschland seit 1978.

 

Quelle: Michel Deshaies

Kohle ist somit immer weniger eine nationale Energiequelle und trägt zunehmend zur Abhängigkeit von Energieimporten bei, die seit Mitte der 1980er Jahre beträchtlich zugenommen haben. Während 1989 die Abhängigkeit von Einfuhren für ganz Deutschland bei 54% des Energieverbrauchs lag, schlägt sie nun mit 62% in der Energiebilanz zu Buche, wobei die Gefahr besteht, dass dieser Anteil weiter zunimmt, da in Zukunft wahrscheinlich noch mehr Kohle und Erdgas importiert werden. Außerdem nehmen in der deutschen Diskussion über die künftige Ausrichtung der Energiepolitik Umweltschutzerwägungen im Vergleich zu ökonomischen Faktoren einen immer größeren Raum ein.

Die Regierungsübernahme 1997 durch die rot-grüne Koalition hat in der Tat zu einer bedeutenden Wende in der Energiepolitik Deutschlands geführt. Da die neue Regierung dem Umweltschutz eine wichtige Rolle einräumt, ist eine sehr ehrgeizige Politik zum Ausbau erneuerbarer Energien in die Wege geleitet worden. Vor allem die Windkraft wird stark gefördert, und so sind die großen Propeller der Windkraftanlagen in wenigen Jahren zu charakteristischen Bestandteilen deutscher Landschaften geworden. Die wichtigste Entscheidung der Regierung besteht jedoch im Ausstieg aus der Kernenergie, die in einem Gesetz verankert ist, das am 27. April 2002 in Kraft getreten ist. Das "Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität" legt fest, dass die 19 in Betrieb befindlichen Reaktoren in Deutschland ihren Betrieb schrittweise zwischen 2005 und 2025 bis 2030 einstellen müssen (zur Kernenergie in Deutschland siehe die Websites: www.kernenergie.de [18] und www.infokreis-kernenergie.de [19] ).

Abbildung 18:

Das Kernkraftwerk Gundremmingen in Bayern nahe der Donau ist das leistungsstärkste deutsche Kraftwerk und zählt zu den Neuesten. Es besteht aus zwei Reaktoren mit einer Leistung von 1344 MW, die 1984 und 1985 ans Netz gegangen sind. Es produziert jährlich circa 20 TWh, d. h. mehr als die gesamte Elektrizitätsproduktion durch deutsche Windkraft im Jahr 2003. Es soll noch mindestens bis 2020 in Betrieb bleiben.

Internet-Quelle [20]

Diese hoch symbolische Entscheidung, die die Wählerschaft der "Grünen" zufrieden gestellt hat, ist natürlich von den Umweltbewegungen in ganz Europa begrüßt worden, die darin den Beginn der Zerschlagung der Atomenergie sehen wollten. Die französischen Grünen haben die Gelegenheit genutzt und gefordert, dass Frankreich dem deutschen Beispiel folgen solle. Daher ist es interessant, an dieser Stelle darzulegen, welche Folgen die Ausrichtungen der Energiepolitik in Frankreich und Deutschland haben und in welchem Maße sie mit den wirtschaftlichen Gegebenheiten und dem zunehmenden Umweltbewusstsein, insbesondere im Zusammenhang mit dem Klimawandel, in Einklang gebracht werden können.