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'Der saarländische Sonderweg 1945 - 1955'
 
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Der saarländische Sonderweg 1945 - 1955

Aus der spezifischen Konstellation der 20er und 30er Jahre ist ein Großteil der saarländischen Sonderentwicklung der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zu erklären. Von saarländischer Seite wurde die Saarfrage inhaltlich um das Element der regionalen Autonomie erweitert, das sich in den folgenden Jahren bis zur zweiten Volksabstimmung zum zentralen Streitpunkt der saarpolitischen Debatte entwickelte. Die frühe Saarpolitik wurde maßgeblich von Politikern gestaltet, die bereits in der Zwischenkriegszeit aktiv gewesen waren und die aufgrund ihrer oppositionellen Haltung zu Hitler-Deutschland entweder ins Exil gezwungen worden waren oder Verfolgung durch den NS-Staat erlitten hatten. Das von diesen Kräften verfolgte Autonomie-Konzept ging bezüglich der regionalen Selbstbestimmung weit über den früheren Status quo hinaus und wurde zusätzlich angereichert durch seine Ausrichtung auf die Vision einer gemeinsamen europäischen Zukunft, für die der zu schaffende Saarstaat eine Vorreiterrolle einnehmen sollte. Realpolitisch konnten diesbezüglich mit und nach der Gründung des teilautonomen Saarstaates große Erfolge erzielt werden. In der politischen Praxis traten aber auch bereits früh starke Reibungsverluste und Missverständnisse zwischen den nicht vollständig kongruenten Konzepten der Saarregierung und der französischen Saarpolitik sowie zwischen der Regierungspolitik und in der Tradition der Zwischenkriegszeit stehenden prodeutschen Oppositionskräften im Saarland auf. 

Ein Beispiel hierfür stellt die Auseinandersetzung um den Wiederaufbau von Saarlouis dar: Auf französischer Seite war der ökonomische Neubeginn des Landes vorwiegend im eigenen wirtschaftlichen Interessen ein sehr wichtiges Ziel der Politik. Diese Politik wurde von Gilbert Grandval als dem wichtigsten Vertreter Frankreichs an der Saar ergänzt um den Gedanken einer grundlegenden Neuorientierung, die z.B. im Städtebau dysfunktionale und durch altes preußisches Gedankengut bestimmte Elemente durch die Errungenschaften der modernen französischen Urbanistik ablösen sollte. Dazu wurde ein eigenes Team von Spezialisten eingesetzt, das den Wiederaufbau der Städte im Saarland leiten sollte. Von Seiten der saarländischen Regierung fand diese Politik weitgehende Unterstützung, weil die Beseitigung der akuten Notlagen durch die Kriegszerstörungen auch ein wichtiges Instrument zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung im Saarland darstellte. Zudem entsprach die spezielle Organisation des Wiederaufbaus in lokaler Verantwortung bei zentraler Planung durch die Landesregierung den besonderen Gegebenheiten der disparaten Verwaltungsstruktur im Saarland und erschien auch nicht zuletzt aus finanzpolitischen Erwägungen als recht attraktiv.

Abbildung 21:

Auszug aus dem städtebaulichen Wiederaufbauprogramm des französischen Architektenteams an der Saar [1] mit einem Modell der Pläne. 

 

Quelle: Équipe des Urbanistes de la Sarre (Hg.), Urbanisme en Sarre, Saarbrücken 1947. 

In Saarlouis aber, wo das französische Architektenteam unter Leitung von Eduard Menkès besonders weit reichende Eingriffe in die vorhandene Struktur vorsah, regte sich nach anfänglicher Zustimmung sehr schnell zunächst lokalpatriotischer, bald aber auch offen nationalistischer Widerstand besonders der Kaufmannschaft der Innenstadt. Mit klarem Blick auf die eigenen Interessen wurden die Neuordnungspläne, die umfangreiche Industrieansiedlungen im Umfeld der Stadt und eine Neuordnung des Innenstadtbereichs vorsahen, als unangemessene französische Eingriffe kritisiert und mehrfach blockiert. Dadurch entstand die schon fast grotesk anmutende Situation, dass einheimische Interessenvertreter die ursprünglich auf alter französischer Planung beruhende Stadtplanung als bewahrenswertes Gut gegen viel modernere Konzepte verteidigten.

Abbildung 22:

Wiederaufbau in Saarlouis nach dem Zweiten Weltkrieg.
Johannes Hoffmann (l.) und Gilbert Grandval (m.) bei der Inspektion der Bauarbeiten.


Vgl. Rémi Baudouï, Französische Wiederaufbaupolitik an der Saar, oder: Funktionalismus als politische Doktrin (1945-1950), in: Rainer Hudemann, Burkhard Jellonnek u. Bernd Rauls unter Mitarbeit v. Marcus Hahn (Hg.), Grenz-Fall. Das Saarland zwischen Frankreich und Deutschland 1945-1960, St.Ingbert 1997 (= Geschichte, Politik und Gesellschaft. Schriftenreihe der Stiftung Demokratie Saarland 1), S. 279-291

Ähnliche Kontroversen bestimmten den neuen Abschnitt in der Geschichte der Saarfrage bis weit in die erste Hälfte der 50er Jahre. Das Autonomie-Konzept löste in einer Vielzahl von Einzelfällen außerordentlich komplex strukturierte Konflikte aus, die in dem spannungsreichen Beziehungsgeflecht zwischen Pariser Zentrale, ihrer Saarbrücker Vertretung und Saarländischer Landesregierung zur Schwächung aller Beteiligten führten. Eine gravierende Stärkung erfuhren dagegen die oppositionellen Kräfte, deren Kritik an der Teilautonomie mit der Zeit immer stärker von nationalen Argumenten überformt wurde. Gegen diese Opposition verfolgten die saarländischen Landesregierungen eine harte Kontrollpolitik, die bis zum Verbot der Demokratischen Partei des Saarlandes (DPS) und der Gewerkschaft I.V. Bergbau reichte. Zurückzuführen ist diese Politik unter anderem auf das tiefe Misstrauen der Autonomie-Befürworter gegenüber ihrer eigenen Bevölkerung, die nach den Erfahrungen des Jahres 1935 als besonders anfällig für nationalistische Argumente angesehen wurde und die man daher vor solchen politischen Kräften glaubte schützen zu müssen. Armin Heinen prägte zur Kennzeichnung der politischen Verhältnisse an der Saar die Formel von der "Demokratie unter pädagogischem Vorbehalt".

Abbildung 23:

Kollage dreier zeitgenössischer Karikaturen Johannes Hoffmanns [2]

Vgl.: Armin Heinen, Marianne und Michels illegitimes Kind. Das Saarland 1945-1955 in der Karikatur, in: Rainer Hudemann, Burkhard Jellonnek u. Bernd Rauls unter Mitarbeit v. Marcus Hahn (Hg.), Grenz-Fall. Das Saarland zwischen Frankreich und Deutschland 1945-1960, St. Ingbert 1997 (= Geschichte, Politik und Gesellschaft. Schriftenreihe der Stiftung Demokratie Saarland 1), S. 45-62.

Eine nachhaltige Schwächung derjenigen Kräfte, die sich bereits seit Anfang der 50er Jahre immer deutlicher für eine Rückkehr der Saar zu Deutschland aussprachen, konnte mit dieser Politik allerdings nicht erzielt werden. Im Vorfeld des für den 23. Oktober 1955 angesetzten Referendums über die Saarfrage entwickelten die prodeutschen Parteien eine lebhafte Propaganda, die die Auswirkungen der Teilautonomie kritisierte und die Tauglichkeit des europäischen Statuts bezweifelte, aber auch pointiert nationalistische Argumente als Grund für ihr "Nein" anführte und alte Feindbilder gegenüber Frankreich in Erinnerung rief. Besonders die beiden letztgenannten Aspekte riefen eine lebhafte Auseinandersetzung hervor, deren Leidenschaftlichkeit die Bezeichnung "Abstimmungskampf" rechtfertigt.

Abbildung 24:

Flugblatt zum Saar-Referendum

Am 23. Oktober 1955 stimmen 67,7 % der Saarländer gegen das europäische Saarstatut und damit für die Eingliederung in die Bundesrepublik Deutschland. Saarland, 1955

 

 

 

 

Internet-Quelle [3]