French
German
 
Seite zur Sammlung hinzufügen
'Der Weg in den Krieg'
 
1 Seite(n) in der Sammlung
 
 
 
 
 

Der Weg in den Krieg

Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bildete das Streben nach der Einigung Deutschlands ein zentrales Problem der europäischen Politik, weil es außenpolitisch die Konstellation der Großmächte und innenpolitisch die überkommenen Machtverhältnisse in Frage stellte. Nach dem Sieg über Österreich 1866 [1] und der Auflösung des Deutschen Bundes war Preußen zur unbestrittenen Führungsmacht in Deutschland aufgestiegen. Es hatte die deutschen Staaten nördlich des Mains, die mit Österreich verbündet waren, annektiert, die übrigen im Norddeutschen Bund [2] vereinigt und die süddeutschen Staaten durch Defensivbündnisse an sich gebunden. Auch viele liberal gesinnte Deutsche glaubten nun, dass Preußen ein einheitliches Deutschland schaffen könne und stellten liberale politische Prinzipien vorerst zurück. In Frankreich war ein einiges Deutschland jedoch nur schwer vorstellbar. Es musste den Status Frankreichs als europäische Vormacht gefährden und löste darum Bedrohungsängste aus. Auch demokratische Kreise sahen in einem von Preußen geeinten Deutschland eine Gefahr, weil Demokratie und das Selbstbestimmungsrecht der Völker im preußischen Militärstaat missachtet wurden. Die Karikaturen von Honoré Daumier vermitteln diese Skepsis. (s. auch www.daumier.org [3] )

Karikaturen von Honoré Daumier aus Le Charivari (1860er Jahre)

Zwar hatte der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck [4] im Norddeutschen Bund ein Parlament etabliert, das nach dem allgemeinen Wahlrecht gewählt wurde. Das Parlament hatte seit 1866 zahlreiche liberale Reformen in Gesellschaft und Wirtschaft auf den Weg gebracht; auf die Außenpolitik und auf den Militärhaushalt, der rund 95 % des Budgets ausmachte, hatten die Volksvertreter aber keinen Zugriff. Seit dem preußischen Verfassungskonflikt [5] war es Bismarck gelungen, das Parlament von Entscheidungen über das Militär auszuschließen, und die militärischen Erfolge Preußens schienen ihm zunächst Recht zu geben. Die für die preußische Monarchie aber entscheidende Frage der Kommandogewalt über das Heer sollte jedoch spätestens wieder 1871 auf der Tagesordnung stehen. Dann nämlich war eine neue Entscheidung über den Wehrhaushalt nötig. Nichts schien darauf hinzudeuten, dass die Liberalen diesmal auf die Parlamentskontrolle verzichten wollten.

In Süddeutschland, besonders in Württemberg und Bayern, bestanden große Vorbehalte gegen Preußen, die teils politisch, teils konfessionell motiviert oder einfach Ausdruck traditioneller Selbständigkeit waren. Daher war südlich des Mains die Bereitschaft zum Anschluss an den Norddeutschen Bund begrenzt.

Für viele Süddeutsche ist Preußen das Symbol des Obrigkeitsstaates. Diese 1867 gestiftete Schützenscheibe veranschaulicht die Widerstände gegen eine Einigung Deutschlands unter preußischer Führung. (Archiv der Otto-von-Bismarck-Stiftung, Friedrichsruh)

In Frankreich regierte Kaiser Napoleon III. [6] Ansehen und Autorität schöpfte sein Regime aus innen- und mehr noch aus außenpolitischen Erfolgen. Als Preußens Aufstieg zur deutschen Führungsmacht die Dominanz Frankreichs in Europa bedrohte, schienen die politischen Fähigkeiten Napoleons in Frage gestellt zu sein. Ein Konflikt zwischen beiden Ländern wurde daher auch aus innenpolitischen Gründen immer wahrscheinlicher. Das bonapartistische Regime drohte kompromittiert zu werden, wenn es den außenpolitischen Erfolgen Preußens nicht entgegentrat. In Deutschland konnte ein militärischer Konflikt mit Frankreich integrierende Energien freisetzen, süddeutsche Bedenken gegen Preußen unter dem Eindruck der äußeren Bedrohung überwinden und schließlich für Preußen die eventuell drohende parlamentarische Machtprobe um den Militärhaushalt verhindern. Dabei ist zu beachten, dass Krieg im 19. Jahrhundert nicht moralisch verurteilt wurde wie heute. Krieg war im Gegenteil ein legitimes Mittel der Politik, mit dem ein Staat seine Interessen durchsetzen konnte, wenn er keinen anderen Ausweg sah.

Die Frage der spanischen Thronfolge [7] brachte beiden Seiten die Möglichkeit zum militärischen Konflikt. Für den seit 1868 freien Thron wurde die katholische Linie der Hohenzollern auserwählt. Bis heute ist es umstritten, ob Bismarck diese Konstellation gezielt ausnutzte, um einen Krieg gegen Frankreich zu entfesseln. Für Frankreich war die Kandidatur eines Hohenzollern eine unerträgliche Provokation. Die heraufziehende Kriegsgefahr schien zunächst durch den Verzicht des Kandidaten auf den spanischen Thron gebannt. Nun drängte der französische Botschafter den in Bad Ems zur Kur weilenden preußischen König Wilhelm I [8] jedoch, eine auch für die Zukunft bindende Erklärung abzugeben, dass das Haus Hohenzollern auf künftige Kandidaturen in Spanien verzichte. Den sachlichen Bericht des deutschen Diplomaten über diesen Vorfall verschärfte Bismarck durch Streichungen und Auslassungen derart, dass der Eindruck entstand, der französische Botschafter sei vom preußischen König in demütigender Weise abgefertigt worden. Den als "Emser Depesche [9] " berühmt gewordenen Text gab Bismarck an die Presse weiter. Er wurde in Frankreich gerade wegen der Veröffentlichung als unerhörte Provokation und Beleidigung empfunden und rechtfertigte die französische Kriegserklärung an Preußen am 15. Juli 1870. Damit hatte Frankreich sich aber zum Aggressor gemacht und erfuhr von den europäischen Großmächten keine Unterstützung.

In Deutschland bewirkte die französische Kriegserklärung eine allgemeine Solidarisierung mit Preußen, nicht nur der süddeutschen Regierungen, die durch Defensivbündnisse an Preußen gebunden waren, sondern auch in den Kreisen, die bislang äußerst preußenfeindlich eingestellt waren. Das wird besonders an der Berichterstattung demokratischer Zeitungen deutlich. (Dok. 1 [10] ). Der Krieg mit Frankreich verdrängte auf deutscher Seite die regionalen und innenpolitischen Vorbehalte und wurde so zu einem nationalen Einigungskrieg (Dok. 2 [11] ).

Extrablatt der "Kreuzzeitung" vom 15. Juli 1870 über die französische Kriegserklärung. Der der Nachricht "Frankreich hat an Preußen den Krieg erklärt" hinzugefügte Kommentar "wird ihn aber verlieren, das feige, heimtückische Volk der Franzosen", lässt die dadurch ausgelöste nationale Erregung erkennen. (Archiv der Otto-von-Bismarck-Stiftung, Friedrichsruh)