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'Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln'
 
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Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln

Während der ersten Jahre nach 1918 bleibt die Denkweise in den Schulbüchern wie in den satirischen Quellen weitgehend von der Gegnerschaft des Krieges bestimmt. Natürlich sind die Ausdrucksweisen der beiden Quellengattungen sehr verschieden. In bezug auf den jüngst beendeten Krieg beschuldigen die Autoren der Schulgeschichtsbücher wechselseitig das jeweils andere Land, für den Kriegsausbruch verantwortlich zu sein und bewerten die Haltung der politisch Verantwortlichen ihres eigenen Landes positiv (Zur deutschen Sichtweise vgl. Quelle 1 [1] , zur französischen Quelle 2 [2] ).

Ganz offensichtlich fehlt in den Schulbüchern beider Länder Distanz zur Rolle des eigenen Landes im Krieg. Dies erklärt sich einerseits durch die Tatsache, dass die dargestellten Ereignisse der allerjüngsten Vergangenheit angehören. So verhalten sich die deutschen und französischen Schulbuchautoren nicht als Historiker, sondern als Zeitgenossen des Geschehens. Im übrigen ist die Historisierung (d.h. die Untersuchung eines Themas mit dem kritischen Abstand, der die Haltung des Historikers kennzeichnet) der Frage nach der Verantwortung für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs sehr langwierig gewesen und hat sich nach 1945 fortgesetzt. Eine wichtige Etappe dieser historischen Auseinandersetzung ist die Fischerkontroverse um die deutschen Kriegsziele, die unter den deutschen Historikern in den sechziger Jahren viel Wirbel ausgelöst hat.

Aber die zeitliche Nähe erklärt nicht alles. In Frankreich lösen die Schrecken des Stellungskrieges und der Schützengräben eine massiv verbreitete pazifistische Stimmung aus (siehe unten 3.2.). Für die deutschen Quellen der Nachkriegsjahre sieht der Befund ganz anders aus: die Analyse zeigt, dass die Autoren, und mit ihnen ein Großteil der deutschen Bevölkerung, weniger erschüttert sind durch die Kriegserfahrungen als durch den Friedensvertrag, der als "Versailler Diktat" verschrieen ist. Diese Friedensregelung verpflichtet Deutschland zu vorübergehenden oder endgültigen Gebietsabtretungen sowie zu Reparationszahlungen und bürdet Bevölkerung und Regierenden eine schwere moralische Last auf: Deutschland wird die alleinige Verantwortung für den Kriegsausbruch zugesprochen.

Der Versailler Vertrag verletzt die deutschen Identitätsgefühle und löst ein tiefsitzendes und dauerhaftes Trauma bei Bevölkerung und Politikern aus. So verurteilt ein Großteil der deutschen öffentlichen Meinung eher diesen erniedrigenden Friedensschluß als den vorangegangenen Krieg. Zwar gibt es auch in Deutschland Texte, die den Krieg anprangern: das berühmteste Beispiel ist wohl Im Westen nichts Neues von Erich Maria Remarque, 1927 erschienen. Aber vor allem in den Jahren der unmittelbaren Nachkriegszeit machen die deutschen Schulbücher und die Presse weiterhin den ehemaligen Kriegsgegnern, allen voran Frankreich, schwere Vorwürfe. Nach dem Tenor der Satirepresse zu urteilen, wären ihre Autoren durchaus bereit, den bewaffneten Kampf wiederaufzunehmen, um die Auswirkungen des Friedensschlusses ungeschehen zu machen. Nicht zuletzt im Hinblick auf Frankreich erweisen sich die Karikaturen des Simplicissimus von einer Agressivität, die den Krieg mit Mitteln verbaler und bildlicher Sprache fortzusetzen scheint (vgl. Quelle 3 [3] ).

"Fünfzig Franken kriegt armer Neger für toten deutschen Barbaren. Muß ich noch zwei abschießen, bis ich kann heiraten."

 

 

 

 

 

Quelle: Der Simplicissimus (Beiblatt), 8. Januar 1920, S. 1

Diese Zeichnungen zeugen von einer regelrechten Schwarzenphobie. Diese findet sich auch in den zahlreichen Ausführungen zur " Rassenkunde ", die nach 1920 die deutschen Erdkundebücher durchziehen. Geographische Skizzen, die die textlichen Ausführungen der deutschen und französischen Geschichtsschulbücher bildlich umsetzen und illustrieren, reproduzieren auf ihre Weise die vorwurfsvollen oder eher wohlwollenden Aussagen über das Nachbarland.

Bezüglich der territorialen Ausdehnung Frankreichs zu Zeiten Ludwigs XIV. entscheiden sich die Schulbuchautoren der Weimarer Republik und der nationalsozialistischen Zeit durchweg dafür, das französische Herrschaftsgebiet schwarz kenntlich zu machen. Im Titel wird oft das Wort "Raub" verwendet. Ab 1945 sind solche suggestiven Dunkelfärbungen und eindeutig negativen Wertungen zu diesem Thema radikal aus den deutschen Schulbüchern verbannt (Quelle 4 [4] ).

"Der Raub fremden Gebietes durch Frankreich"

 

 

 


Aus: STOLL (Max Dr.), Deutsches Werden. Geschichtsunterricht für die höheren Unterrichtsanstalten (Knaben- und Mädchenschulen). Mittelstufe : 3. Band Neuzeit. Bamberg, C.C. Buchners Verlag, 1928, 184 S. [S. 121]

In die gleiche Richtung gehen Beobachtungen zur Darstellung des Ersten Weltkriegs: hinsichtlich der Bündnissysteme vor Kriegsausbruch sprechen die deutschen Schulbücher häufig von der "Einkreisung Deutschlands". Die nationalsozialistischen Schulbücher treiben in ihren Karten die Verteufelung des Feindes auf die Spitze, indem sie stets weiß für Deutschland, schwarz für seine zukünftigen Kriegsgegner wählen. Oft trifft man auf suggestive Pfeile, die den Eindruck erzeugen, dass sich Bedrohungen um das wehrlose Deutschland herum ansammeln (Quelle 5 [5] ).

"Frankreichs Vorherrschaft in Europa (Lage 1935)"

 

 


Aus: FRANKE (Walter OstD Dr.), Nun wieder Volk. Volk und Führer. Deutsche Geschichte für Schulen Klasse 5. Dietrich Klagges (dir.), Ausgabe für Oberschulen und Gymnasien. Frankfurt am Main, Moritz Diesterweg, 1939, 270 S. [S. 176]

Wenn aber die französischen Schulbuchautoren der Zwischenkriegszeit die Kriege Friedrichs II. von Preußen behandeln, verzichten sie bei den eingefügten Karten völlig auf dunkle Graustufen. Auf diese Weise vermeiden sie, die historische Gegnerschaft visuell zu unterstreichen oder gar für die Vergangenheit Rollen von Guten und Bösen zu verteilen - geht es hier etwa darum, den Antagonismus und das Kriegsrisiko in der Gegenwart zu entschärfen? (Quelle 6 [6] )

"Die Entstehung des Preussischen Staates"

 

 

 

Aus: MALET (Albert), Les Temps Modernes. Classe de quatrième. Paris,Hachette, 1919, 525 S. [S. 395]