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'Religiöse Spaltung und Religionsfriede in der Geschichte Frankreichs (16. bis 19. Jahrhundert)'
 
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Religiöse Spaltung und Religionsfriede in der Geschichte Frankreichs (16. bis 19. Jahrhundert)

Zunächst sei an die religiöse Spaltung und Gewalt im Zuge der Reformation sowie an das Streben Frankreichs erinnert, die Einheit wiederherzustellen bzw. den Pluralismus zu erhalten. Es ist nicht erforderlich, bis zu den Katharern oder Waldensern zurückzugehen, zwei "Häresiebewegungen" zum Ende des Mittelalters, deren Zentren sich unter anderem in Frankreich befanden. Es genügt der Hinweis, wie sehr die Reformation im 16. Jahrhundert das Land von Jean Calvin, Théodore de Bèze, Agrippa d'Aubigné und Clément Marot, Theologen, Dichtern, Kriegsherren, beeinflusste. Anfang der 1560er Jahre lebten im Königreich Frankreich bis zu elf Prozent Protestanten. Ende des 16. Jahrhunderts - unter der Herrschaft von Heinrich IV., der zum Katholizismus übergetreten war, um den Thron besteigen zu können - waren es nur noch 5,5 Prozent. Ende des 18. Jahrhunderts lebten (bis heute) nur noch zwei Prozent Protestanten in Frankreich.

Die Verteilung der Konfessionen in Frankreich und in Deutschland




Quelle: www.passe-partout.de/docs_de/qurelind.htm

Den Anhängern der Reformation war es somit nicht gelungen, Frankreich zu erobern. Das 17. und 19. Jahrhundert stellten das goldene Zeitalter der katholischen Kirche dar. Das Ancien Régime, das den Katholizismus als offizielle Religion durchgesetzt hatte, vermochte die calvinistische Minderheit jedoch nicht vollkommen auszuschalten. Frankreich war daher gezwungen, Formen der Koexistenz zu finden. Dies bedeutete, entweder die nationale Einheit wiederherzustellen - notfalls unter Einsatz staatlicher Gewalt - oder einen Religionsfrieden zu schließen, der dem Bruderkrieg ein Ende setzte.

Das Massaker der Bartholomäusnacht






Quelle: gallica.bnf.fr/classique/images/bathelemy.htm

Die Entwicklung vollzog sich grob gesehen im Rhythmus von Jahrhunderten. Das 16. Jahrhundert mit seinen Religionskriegen (insgesamt sieben) und Massakern (die Bartholomäusnacht vom 24. August 1572) endete 1598 mit dem von Heinrich IV [1] . erlassenen Edikt von Nantes [2] . Fast ein Jahrhundert lang stand es für die "Koexistenz in Intoleranz", wie Historiker diese Phase bezeichnet haben. Jede Konfession war überzeugt, im Besitz der christlichen Wahrheit zu sein, akzeptierte aber die Existenz einer anderen Religion neben sich. Genauer gesagt: Der Protestantismus war zugelassen und geschützt, litt aber unter seinem Minderheitenstatus. Der katholische Staat tolerierte die Protestanten zwar, verweigerte ihnen aber jede Chance auf Verbreitung und letztlich auch jede Chance auf Zukunft. Auf den politischen und sozialen Druck hin setzte der allmähliche Niedergang der Reformationsbewegung ein. Immerhin bescherte dies Frankreich ein in Religionsfragen friedliches 17. Jahrhundert. Eine Ausnahme stellten die 1620er Jahre dar, als der militärische und politische Protestantismus eines Herzogs von Rohan, La Rochelle und Montauban nochmals aufflammte, bevor auch er endgültig unterdrückt wurde. Dies veranlasste Ludwig XIV. zu der Annahme, der französische Protestantismus sei am Ende, und er zwang die noch verbliebenen Protestanten in einer Mischung aus Gewalt, Zynismus und Zuversicht, zum Katholizismus überzutreten. Anfang Herbst 1685 schwörten Hunderttausende von Protestanten ihrem Glauben ab, und das Edikt von Nantes wurde widerrufen [3] : Frankreich hatte seine moralische Einheit zugunsten des Katholizismus scheinbar wiederhergestellt.

Dies sollte sich jedoch schnell als tragischer Irrtum erweisen: Ein Viertel der 800 000 "Hugenotten" floh in die protestantischen Länder Europas, besonders nach Brandenburg und in dessen Hauptstadt Berlin [4] . Die übrigen leisteten zumeist stillen Widerstand und wurden zu "Marranen" (siehe unten Anm. 1) des Protestantismus. In den Cevennen im Süden Frankreichs brach ein heftiger Aufstand aus, der die Marschalle Ludwigs XIV. zwei Jahre lang (1702-1704) in Schwierigkeiten brachte. Das Ergebnis war paradox: Die Verfolgung hat den französischen Protestantismus vielleicht ebenso sehr gestärkt, wie sie ihn zu schwächen schien. In der Geschichte des Protestantismus wird dieses Jahrhundert in Anlehnung an das Alte Testament als "Wüste" bezeichnet. Im Zuge der Aufklärung und des Toleranzgedankens nahm die Verfolgung Ende des 18. Jahrhunderts ab. Voltaire machte sich zum Anwalt in der Affäre Jean Calas [5] , jenes Protestanten, der 1762 in Toulouse zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. 1787 beugte sich die Monarchie den Tatsachen: Die Behauptung, der Protestantismus sei in Frankreich ausgelöscht, war nicht länger aufrechtzuerhalten. Ein neues Edikt erkannte die Existenz der Protestanten an, ohne allerdings die öffentliche Ausübung der Religion zu erlauben. Damit ging ein weiteres Jahrhundert zu Ende.

"Nunmehr wurde die katholische Kirche zur erklärten Gegnerin der Revolutionäre. (...). Durch die Weigerung des Papstes, die Spaltung des Klerus (...), durch die Zunahme des Antiklerikalismus und die Welle der Entchristlichung während der Schreckensherrschaft der Jakobiner (1793) kam es (...) erneut zu religiöser und politischer Gewalt. Die Anhänger der neuen Utopie beanspruchten, die moralische und intellektuelle Einheit des Landes zu verwirklichen, allerdings nicht mehr mit Hilfe der Bibel, sondern durch die Erklärung der Menschenrechte."

Quelle: www.pandore.net/magies/legende/histoire.htm

Mit der Französischen Revolution verschoben sich die Akzente sehr schnell. Während zwischen 1789 und 1791 zunächst die Protestanten und schließlich auch die Juden als gleichberechtigte Bürger anerkannt wurden und sich anschickten, zu den neuen Führungseliten des modernen Staates aufzuschließen, wurde nunmehr die katholische Kirche zur erklärten Gegnerin der Revolutionäre. Das neue Regime versuchte zunächst, die katholische Kirche zu einer Art öffentlichem Dienst zu machen (Zivilverfassung des Klerus). Durch die Weigerung des Papstes, die Spaltung des Klerus in Befürworter und Gegner der neuen Regelung, durch die Zunahme des Antiklerikalismus und die Welle der Entchristlichung während der Schreckensherrschaft [6] der Jakobiner (1793) kam es jedoch erneut zu religiöser und politischer Gewalt. Die Anhänger der neuen Utopie beanspruchten, die moralische und intellektuelle Einheit des Landes zu verwirklichen, allerdings nicht mehr mit Hilfe der Bibel, sondern durch die Erklärung der Menschenrechte [7] . In der Vendée im Westen Frankreichs brach ein Bürgerkrieg aus, der besonders "moderne" Züge trug, da in großem Maße Massaker und Brutalitäten begangen wurden. Nach den Religionskriegen [8] war Frankreich nun zum zweiten Mal in seiner Geschichte mit der Frage konfrontiert, wie sich die religiöse Gewalt beenden und eine Form des Friedens finden ließ, die für beide Seiten akzeptabel war und keine Demütigung oder Niederlage bedeutete.

Für diese wie andere Fragen fand Napoléon Bonaparte eine Lösung. Er "beendete" die Revolution, d. h. er bewahrte ihre Errungenschaften und festigte das Land nach einem Jahrzehnt der Unruhen. Durch zwei Entscheidungen schuf er einen "Konkordatsfrieden", der bis zur Trennung von Staat und Kirche im Jahre 1905 anhielt: mit dem 1801mit Papst Pius VII. geschlossenen Konkordat [9] sowie dessen Verkündung und Erweiterung um die grundlegenden Bestimmungen [10] im Jahre 1802.

Kardinal Consalvi erhält von Papst Pius Pie VII. die Ratifikationsbulle des Konkordats. Die im März 1801 begonnenen Verhandlungen wurden erst am 15. Juli mit der Unterzeichnung des Konkordats abgeschlossen. Kardinal Caprara wurde nach Paris gesandt, um die Ratifizierung des Kardinalskollegiums zu überbringen und den katholischen Kultus in Frankreich feierlich wiederherzustellen.


Quelle: perso.club-internet.fr/ameliefr/Concordat2.html

Der Text des Konkordats, das am 15. Juli 1801 unterzeichnet wurde, umfasst 17 Artikel. Wie bei jedem Kompromiss kamen beide Seiten auf ihre Kosten. Der Papst beendete das Schisma, das die französische Kirche gespaltet hatte, und sorgte dafür, dass wieder Gottesdienste abgehalten werden konnten. Der Staat regelte die Frage der Religionen und legte die Privilegien fest: Die katholische Religion durfte öffentlich ausgeübt werden, musste sich aber den von der Regierung erlassenen polizeilichen Vorschriften beugen; der Erste Konsul ernannte die Bischöfe, die er zu Verwaltern des Religiösen zu machen hoffte; der Heilige Stuhl verlieh ihnen die kirchliche Legitimation. Die Präambel stellte ein Musterbeispiel des Kompromisses dar: Der Katholizismus wurde darin zur Religion "der meisten französischen Bürger" erklärt, besaß aber nicht mehr den Status einer Staatsreligion (diesen erhielt er erst wieder zwischen 1814 und 1830). Zudem hieß es im Text, dass die Konsule der Republik sich "offen [zum Katholizismus] bekennen"; falls einer der Nachfolger des Ersten Konsuls kein Katholik sei, bedürfe es eines neuen Abkommens. (Dieser Fall trat nie ein, da der Protestant Gaston Doumergue [11] erst nach der Trennung von Kirche und Staat zum Präsident gewählt wurde.) Die katholische Kirche verzichtete darauf, die während der Französischen Revolution vom Staat beschlagnahmten Güter zurückzufordern; sie setzte aber durch, dass Bischöfe und Pfarrer künftig vom Staat bezahlt wurden. Die standesamtlichen Aufgaben blieben in den Händen der Bürgermeister; der kirchlichen Trauung musste eine standesamtliche vorausgehen.

Napoléon zögerte die Verkündung des Konkordats bis Ostern 1802 hinaus und ergänzte es eigenmächtig um verschiedene grundlegende Bestimmungen, die niemals verhandelt und von den Päpsten nie anerkannt wurden, mit denen sie sich aber abfinden mussten. Die Bestimmungen über den Katholizismus führten den "Gallikanismus" ein, d.h. die Unterordnung der Kirche unter die politische Macht, in der Tradition von Ludwig XIV. und Bossuet. Andere Bestimmungen betrafen den lutheranischen (elsässischen) und den calvinistischen (meridionalen) Protestantismus, denen dieselben Privilegien eingeräumt wurden wie dem katholischen Glauben. Dies stellte eine wichtige Neuerung dar: Von nun an standen drei Konfessionen vor dem Gesetz gleichberechtigt nebeneinander, unabhängig von ihren historischen Unterschieden oder der Zahl ihrer Anhänger. Die jüdische Religion kam als vierte Konfession hinzu (1808). Man sprach in dieser Zeit von vier "anerkannten Konfessionen", die über beträchtliche Privilegien verfügten - in erster Linie war dies die Bezahlung der Geistlichen durch den Staat. Frankreich entschied sich für einen wirklichen religiösen Pluralismus. Diese Phase, die fast genau ein Jahrhundert umfasste, hat der Soziologe Jean Baubérot [12] als "erste Stufe der Laizisierung" bezeichnet. Die Trennung von Kirche und Staat durch das Gesetz vom 9. Dezember 1905 [13] leitete die zweite Stufe der Laizisierung ein. Heute, 100 Jahre später, stehen wir vor neuen Veränderungen, wie unten noch ausgeführt wird. Jener Wandel in den Beziehungen zwischen Staat, Gesellschaft und Konfessionen lässt sich mit Hilfe dieses idealtypischen Ansatzes gut erfassen.

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Anmerkungen

  1. Bei dem Begriff "Marranen" oder "Maranen" (von span.: "Schwein") handelt es sich um ein Schimpfwort für die während der Inquisition im 14. und 15. Jahrhundert in Spanien zwangsgetauften, ihrer Religion aber treu gebliebenen Juden und Mauren.