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'Eine Erweiterung ohne Jubel im Westen'
 
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Eine Erweiterung ohne Jubel im Westen

15 Jahre nach dem Fall der Mauer befindet sich Europa in einer Konjunkturkrise, die begründet, weshalb die Reformstaaten nach dem kontinentweit gefeierten Fall der Mauer heute nicht mit vergleichbarem Jubel empfangen werden. Ganz im Gegenteil: Meinungsumfragen belegen in allen alten Mitgliedstaaten eine negative Haltung zur Erweiterung, wenn nicht gar zu Osteuropa im Allgemeinen, und eine erhebliche Furcht vor Kriminalität, Migration und den Auswirkungen auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt (2). So haben, bis auf Irland, alle EU-15-Staaten Übergangsfristen im Hinblick auf Freizügigkeit und Arbeitsrechte der Bürger aus den zehn neuen Mitgliedstaaten verhängt - eine Möglichkeit, von der maximal bis zum Jahr 2011 Gebrauch gemacht werden darf.

Auch Frankreich und Deutschland haben sich seit dem Fall der Mauer gewandelt: Mit der Wiedervereinigung kehrte Deutschland als normaler politischer Akteur in die Völkergemeinschaft zurück. Frankreich, zuvor Verfechter eines Europas der Vaterländer und gemeinsam mit Großbritannien misstrauisch gegenüber dem vereinigten Deutschland, wurde überraschend zu einem der wichtigsten Anwälte eines politisch und ökonomisch integrierten, supranationalen Europa. Die deutsch-französische politische Zusammenarbeit vertiefte sich insbesondere seit 2000, dem Antritt der Bush-Administration in den USA. Ohne vorherige Absprachen vertrat und vertritt man gleiche Auffassungen in den Dossiers der großen Politik, so im Irak-Krieg. Ohne gemeinsame Papiere oder Beschlüsse ist man sich in Berlin und Paris politisch so nah wie zuletzt nur in der Ära Giscard-Schmidt.

Osteuropa gegenüber allerdings zeigen sich fundamentale Unterschiede in der deutschen und französischen Tradition, Politik und Wahrnehmung. Während Deutschland durch vielfältige geschichtliche Bezüge, durch Auslandsdeutsche und osteuropäische Exilanten, durch Handel, aber auch durch das Bewusstsein einer tiefen historischen Schuld mit den Staaten Osteuropas eng verbunden ist, glänzte Frankreich weitgehend durch Abwesenheit. So wie Afrika in der deutschen Politik nur eine geringe Rolle spielt, so ist Osteuropa für Frankreich eine zunächst einmal entlegene Zone. Frankreichs Osteuropapolitik stand in der Zwischenkriegszeit vor allem im Zeichen der Kulturpolitik, der Verbreitung von französischer Kultur und Sprache. Nur unbedeutende Botschaften wurden unterhalten. In jüngster Zeit zeichnet sich hier eine Veränderung ab, und nicht zufällig ist Frankreich inzwischen zum größten Direktinvestor in Polen aufgestiegen. 

Abbildung 3:

Die Fondation France-Pologne [1] ist ein Zeichen des zunehmenden Interesses Frankreichs an einer Zusammenarbeit mit Polen. 1989 gegründet dient das Programm der technischen Zusammenarbeit beider Länder und unterstützt die Ausbildung von Fach- und Führungskräften in Polen.

Internet-Quelle [2]

Das Interesse an den nahezu unbekannten Staaten Osteuropas nahm in den letzten Jahren sprunghaft zu. Umgekehrt herrschen in Osteuropa viele Vorurteile gegenüber Frankreich: Zunächst einmal sind diese grundsätzlich positiv und von der Vorstellung der kultivierten Franzosen, der französischen Lebensart, von Voltaire und Napoleon bestimmt. Wenig aktuelle Erfahrungen aber mit Paris, und das vor dem Hintergrund unterschiedlicher Auffassungen im Irak-Krieg, haben dazu geführt, dass Mittelosteuropa Frankreich durch die amerikanische Brille wahrgenommen hat und wahrnimmt: unzuverlässig - man tauscht mit ihnen keine Geheimdienstdaten aus - und eigenbrötlerisch. Frankreich gilt nicht selten als arrogant und machtbewusst, als Gegenspieler der USA, die in vielen Staaten Osteuropas als der einzige treue Bündnispartner betrachtet werden. An diesem Bild stehen Korrekturen an, die nur durch engere Verbindungen und tiefere Kenntnisse vorgenommen werden können.

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Anmerkungen

(2) Meinungsumfragen zur Osterweiterung, siehe den Artikel "Ces clandestins qui font peur" in "Le Point", septembre 2003, http://www.lepoint.fr/europe/document.html?did=100730 [3]