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'Das Verhalten Frankreichs und Deutschlands in der Irak-Krise'
 
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Das Verhalten Frankreichs und Deutschlands in der Irak-Krise

Am 17. Februar 2003 hat Jacques Chirac in Brüssel die drei Neulinge gemaßregelt, die neben Großbritannien, Spanien, Italien, Portugal und Dänemark den «Brief der Acht» mit unterschrieben hatten, der eine volle Solidarität mit George W. Bush ausdrückte. Polen, Ungarn und die Tschechische Republik sowie die anderen Mitglieder der Vilnius-Gruppe, die sich in derselben Richtung ausgesprochen hatten, wurden vom französischen Präsidenten als «schlecht erzogen» und «kindlich» beschimpft (vgl. Originaltext der Pressekonferenz [1] ). Die Nachwirkung wird noch 2004 zu spüren sein. Hat denn Chirac nicht sehen oder einsehen wollen, dass z.B. Polen frei geworden ist nicht durch den französischen, sondern durch den amerikanischen Druck auf die durch diesen Druck ständig schwächer gewordene Sowjetunion? Und dass es sich heute nicht von Frankreich, sondern von den USA geschützt fühlt vor der erdrückenden Masse des immensen Russlands?

In diesem Sinn ist auch das Gesamtverhalten Frankreichs und Deutschlands in der Irak-Krise nicht ungefährlich für die Zukunft Europas gewesen. Ja, es war gut, im Sicherheitsrat die russische Unterstützung zu haben. Ohne sie ging es nicht, obwohl hoffentlich Fischer und Villepin ein ungutes Gefühl hatten, im Namen von Recht und zivilisierter Weltordnung mit Vladimir Putin zusammenzuarbeiten, der in Tschetschenien die schlimmsten Verbrechen duldete, wahrscheinlich sogar guthieß. Roosevelt und Churchill hatten gewiss mit Stalin zusammengewirkt, aber gegen Hitler, nicht gegen den Präsidenten der immer noch größten Demokratie. Und vor allem besteht seit der Eroberung von Bagdad die Gefahr, weiterhin eine Achse Paris-Berlin-Moskau zu schaffen oder zu festigen, die in den Augen der Neuen von 2004 als ein Verrat an dem gemeinschaftlichen Europa gelten dürfte.

1994 und 2003 stand die Parade zum 14. Juli auf den Champs Elysées im Zeichen Europas, mit der deutsch-französischen Brigade, dann mit dem Eurocorps. Die symbolische Bedeutung war: «Frankreich ist nur groß innerhalb der EU». Aber es ist nicht klar, ob Jaqcues Chirac sich dieser Bedeutung wirklich bewusst geworden ist. Er scheint auch zu übersehen, dass der eigentliche Partner von Putin Bush ist, trotz aller Höflichkeit Chirac und Schröder gegenüber. Der Kanzler fühlt sich gewiss geschmeichelt, von Putin als persönlicher Freund behandelt zu werden. Aber so belebt er das alte, seit 1990 erneuerte Bild eines Deutschlands, das unbedingt die Eigenständigkeit zum Eigennutz verwenden will und nicht mehr die Einheit Europas und die innere und äußere Verwendung dieser Einheit zum Hauptziel macht.

Es ist nicht immer klar gewesen, inwiefern in der Irak-Krise Joschka Fischer die Einstellungen des Kanzlers gebilligt oder inwiefern er lediglich ein disziplinierter Außenminister gewesen ist. Aber ganz klar ist, dass er ein anderes europäisches Ziel vertritt als der Kanzler. Vor dem Verfassungskonvent und während seines Verlaufs war es klar, dass Chirac und Schröder beinahe so wenig auf Einstimmigkeit verzichten wollten wie Aznar und Blair, wohingegen Fischers Auffassung der Supranationalität, d.h. des Gedankens, dass Europa mit einer Stimme sprechen und als Gemeinschaft handeln soll, auf der Linie von Jean Monnet und Jacques Delors liegt. In einem Punkt besteht eine deutsch-französische Einigkeit, wenn sie auch durch die Anbiederungsversuche in Washington nach dem Irak-Krieg manchmal überschattet wird: Europa soll ein Eigengewicht haben in seiner Beziehung zu den USA. Genau das Gegenteil von dem, was Tony Blair in seiner Rede vor dem Kongress am 17. Juli 2003 verkündet hat: “There is no more dangerous theory in international politics today than that we need to balance the power of America with other competitor powers.”

Das «alte» Europa (nicht im Sinn von Donald Rumsfeld, sondern die Gemeinschaft von 1957 bis 2004) hat immer Konflikte mit den USA gehabt, vor allem seit dem 15. August, als der Dollar vom Gold getrennt und somit das Weltwährungssystem zerstört wurde. Die Auseinandersetzungen um den Handel waren älter, wobei seit Beginn die Gemeinschaft, im Gegensatz zur «politischen» Außenpolitik, die EG immer mit einer Stimme verhandelt hat. Selbst de Gaulle hat den belgischen Kommissar Jean Rey für sein Geschick in der Kennedy-Round [2] beglückwünscht. Pascal Lamy spielt heute ein noch größere Rolle, aber ein transatlantisches Grundproblem bleibt ungelöst. Die Verletzungen des Freihandels durch verschiedene Tricks gehen weiter, mehr noch auf amerikanischer als auf europäischer Seite. Airbus wird in der Tat von den Regierungen unterstützt, aber wo stände Boeing ohne die Aufträge des amerikanischen Verteidigungsministeriums? Bei der Landwirtschaft darf man sich fragen, wer mehr antiliberale Zuschüsse gibt: die USA oder die Gemeinschaft? Frankreich vor allem und die Vereinigten Staaten verhindern gemeinsam, durch die niedrigen Preise, die landwirtschaftliche Entwicklung der armen Länder.

Abbildung 5:

Die Verteidigungsausgaben der USA im Vergleich zu 14 weiteren Ländern

(nach einer Zusammenstellung des britischen Verteidigungsministeriums, Angaben in Milliarden US-Dollars)

 

 

 

Internet-Quelle

All diese Spannungen und Konflikte wiegen wenig im Vergleich mit den beiden wesentlichen Gegebenheiten. Die eine ist, was man in Berlin doch besser einsieht als in Paris, die enorme Übermacht Amerikas. Auf militärischer Ebene (der Verteidigungshaushalt der USA ist größer als die Summe der russischen, chinesischen, britischen, deutschen und französischen Militärhaushalte) und auf wirtschaftlicher: das Vertrauen in den Dollar erlaubt den USA ihr fantastisches Handelsdefizit und auch das inzwischen wachsende Haushaltsloch beinahe völlig zu ignorieren. Die Europäische Macht als ebenbürtige Weltmacht – das dürfte kaum geträumt werden.

Zugleich gibt es eine transatlantische Wertegemeinschaft. Zu den Grundwerten gehört das Recht des Kleineren, des Schwächeren, ein ebenbürtiger Partner des Stärkeren zu sein. Die Auseinandersetzung findet in der Demokratie statt, eben weil der Stärkere nicht das Recht hat, allein zu entscheiden. So ist es u.a. in der Europäischen Union. Frankreich wollte nur selten seine Schwäche eingestehen. Die Bundesrepublik hat lange Zeit das Mitsprache- und Mitentscheidungsrecht vernachlässigt. Das zukünftige Europa sollte durch den «deutsch-französischen Motor» dazu angetrieben werden, den richtigen Weg zu finden zwischen Selbstüberschätzung und Abdankung. Es wäre leichter, wenn der große amerikanische Partner nicht von einem George W. Bush und seinem Team geführt würde. Leichter, aber nicht einfach: bereits Anfang der fünfziger Jahre gab es innerhalb der NATO den Stempel A.E.O.- American eyes only.