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'Europa vom Atlantik bis zum Ural - ein "europäisches Europa" unter der Führung Frankreichs'
 
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Europa vom Atlantik bis zum Ural - ein "europäisches Europa" unter der Führung Frankreichs

Die von General de Gaulle [1]  immer wieder propagierte Idee eines "Europas vom Atlantik bis zum Ural" [2]  erscheint aus heutiger Perspektive wie eine frühe Vision dessen, was nach der Wende von 1989/90 [3]  zum ersten Mal tatsächlich zu verwirklichen ist: ein Gesamteuropa, dessen Integration [4]  sich nicht länger auf den westlichen Teil beschränkt. Indessen sollte mit dem de Gaulleschen Europabegriff weniger eine neuartige geopolitische Verortung Europas assoziiert werden. Vielmehr verdeutlicht die de Gaullesche Europakonzeption vier Grundprinzipien französischer Europapolitik, die bis heute andauern: 

  • Erstens war die politische Klasse in Frankreich mit der bipolaren Nachkriegsordnung weitgehend unzufrieden, weil sie die führende Stellung der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion ebenso verankert hatte wie den internationalen Bedeutungsverlust Frankreichs. 
  • Zweitens drängte man deshalb in Frankreich - insbesondere unter de Gaulle - auf ein "europäisches Europa", in dem der Einfluss der Vereinigten Staaten zurückgedrängt wird. Das umfasst verteidigungspolitische, allgemein politische und wirtschaftliche Aspekte ebenso wie kulturelle Dimensionen. Der "american way of life" wurde in Frankreich besonders kritisch betrachtet. Ein den amerikanischen Einfluss reduzierendes Europa würde zwar nicht die globale Sicherheitsgarantie der Vereinigten Staaten ersetzen wollen, würde aber Frankreich im westlichen Europa die führende Stellung sichern. 
  • Drittens wird an der Konzeption des "Europas vom Atlantik bis zum Ural" erkennbar, wo für Frankreich die Grenzen der europäischen Gemeinschaftsbildung liegen. So machte sich de Gaulle zu Beginn der sechziger Jahre zwar zum energischen Fürsprecher einer "europäischen Konföderation", doch war dieses vermeintlich ambitionierte europäische Projekt auch darauf gerichtet, supranationale Tendenzen in der wenige Jahre zuvor gegründeten EWG zu blockieren. Die Souveränität Frankreichs wurde nicht zur Disposition gestellt, sondern sollte im Gegenteil in einem "Europa der Vaterländer" gefestigt werden. Was de Gaulle damals an kontinuierlicher Zusammenarbeit der Regierung, an außen- und verteidigungspolitischer Kooperation propagiert hat, ist zwar zunächst gescheitert, hat aber in Versatzstücken Eingang in den deutsch-französischen Vertrag von 1963 und in den Maastricht-Vertrag mit der Begründung der "Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik" (GASP) sowie der darin enthaltenen Option auf eine europäische Verteidigungspolitik gefunden. De Gaulle war also mit seinen Vorschlägen seiner Zeit voraus und durchaus nicht "anti-europäisch". Wenn man diese Interpretation akzeptiert, impliziert dies allerdings zugleich eine spezifische Perspektive und Begrenzung europäischer Gemeinschaftsbildung: Der europapolitische Inkrementalismus - bei dem im Laufe der Zeit immer weitere Bereiche in die europäische Zusammenarbeit eingeschlossen werden - schreitet voran, ohne allerdings die kritische Schwelle zur supranationalen Organisation Europas überschreiten zu können. 
  • Viertens, als de Gaulles Vorschläge einer "Konföderation Europa" am Widerstand der Belgier und Niederländer, vor allem aber an der atlantisch orientierten Bundesrepublik gescheitert waren, verband sich mit dem Konzept des "Europas vom Atlantik bis zum Ural" eine französische Politik, die den Anschluss an die von den Vereinigten Staaten lancierte Entspannungspolitik zu halten suchte und internationalen Einfluss dadurch erlangen wollte, dass Frankreich eine verstärkt eigenständige Politik gegenüber der Sowjetunion betrieb. Das "Europa vom Atlantik bis zum Ural" sollte zur Revision des Systems von Jalta führen. Frankreichs Entspannungspolitik war daher auch nicht "antiwestlich" ausgerichtet, sondern war von der Überzeugung geleitet, dass Frankreich nur dann seine Machtbasis in Europa erweitern könne, wenn die Spannungen zwischen den beiden Blöcken abgebaut würden.

Abbildung 5:

Keine Experimente! CDU
Plakat zur Bundestagswahl 1957, mit dem die CDU für die Bewahrung des Erreichten wirbt.
CDU-Bundesgeschäftsstelle, Bonn, 1957

 


Internet-Quelle [5]

Zu Beginn der sechziger Jahre intensivierte die französische Regierung ihre Bemühungen um die Schaffung einer europäischen Konföderation. Vorbereitet durch Gespräche zwischen de Gaulle und Adenauer [6] , legte Frankreich am 2.11.1961 in der Fouchet-Kommission [7]  - die von den Staats- und Regierungschefs der EWG das Mandat zur Ausarbeitung eines Status für eine Europäische Politische Union  [8] erhalten hatte - einen Vertragsentwurf für eine "unauflösliche europäische Staatenunion" vor. Vorgeschlagen wurde die Harmonisierung der nationalen Außenpolitiken, eine gemeinsame Verteidigungspolitik, eine intensivierte kulturelle Kooperation, die Einrichtung einer parlamentarischen Versammlung (allerdings ohne legislative Funktionen) sowie die Bildung eines in Paris ansässigen Sekretariats. Exemplarisch zeigen sich an diesem Fall die Grenzen zwischen deutschen und französischen Europakonzeptionen: Bundesdeutschen Vorstellungen widersprach der Entwurf, weil er zum einen dem deutschen Streben nach einer atlantischen Sicherheitsgarantie den Boden zu entziehen drohte, und weil zum anderen mit der "Konföderation" die in der EWG zumindest noch ansatzweise vorhandenen supranationalen Ansätze völlig eliminiert worden wären. Die elementaren deutsch-französischen Diskrepanzen zeigten sich erneut, als es 1963 zum Abschluss des deutsch-französischen Freundschaftsvertrags kam. Der Bundestag stellte dem Vertrag eine Präambel voran, in der die atlantischen Bindungen der Bundesrepublik bekräftigt wurden. Dies entwertete aus französischer Sicht nicht nur den Vertrag, sondern bestätigte erneut, dass die Sicherheitspolitik Frankreichs und die der Bundesrepublik auseinander liefen: Wo Frankreich den verstärkten, insbesondere verteidigungspolitischen Zusammenschluss in Europa anstrebte, zögerte die ansonsten so europafreundliche Bundesrepublik wegen ihrer sicherheitspolitischen Rückversicherung bei den Vereinigten Staaten.