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Vorbemerkung

Bismarck hat einmal gesagt: "Ich habe das Wort Europa immer im Munde derjenigen Politiker gefunden, die von anderen Mächten etwas verlangten, was sie im eigenen Namen nicht zu fordern wagten ..." (1) Man könnte, wenn von "Mitteleuropa" die Rede ist, mit einigem Recht das Gleiche sagen, vielleicht mit der Variante, dass die Politiker immer dann von Mitteleuropa sprachen, wenn sie für die eigene Nation bzw. das eigene Volk Ziele anstrebten, die mit dem Selbstbestimmungsrecht der Nationalitäten nicht vereinbar waren. 

Fraglos trifft dies für die klassische Mitteleuropadebatte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu, wie sie im deutschen Sprachraum geführt worden ist. Jedenfalls wird man sagen können, dass sich die "Mitteleuropaidee" seit der Mitte des 19. Jahrhunderts immer mehr zu einem Kampfbegriff verengte, mit dem man formelle oder mehr noch informelle imperialistische Ziele zu legitimieren suchte. Infolgedessen ist die "Mitteleuropaidee" in der deutschen und ebenso der angelsächsischen Diskussion seit Henry Cord Meyers bekanntem Buch "Mitteleuropa in German Thought and Action 1815-1945" (2) in Verruf gekommen, und die Forschungen Fritz Fischers haben ein Übriges besorgt, diese zu diskreditieren. 

Abbildung 1:

Die Osterweiterung der EU hat zu einer bemerkenswerten Renaissance der Mitteleuropaidee in Ostmitteleuropa geführt. (vgl. Beitrag Vozniak [1] )

 

 

 

Internet-Quelle [2]

In der Tat ist die jüngere deutsche Forschung mit den deutschen Mitteleuropa-Konzeptionen der Zeit des Wilhelminismus und des Ersten Weltkrieges scharf ins Gericht gegangen, und dies nicht nur deshalb, weil die nationalsozialistische Großraumideologie sich ebenfalls der "Mitteleuropaidee" für ihre Zwecke reichlich bedient hat. Aber, wie Rudolf Jaworski jüngst mit einigem Recht betont hat, damit kann die Debatte noch nicht zu Ende sein, und dies umso weniger, als wir jüngsthin mit einer bemerkenswerten Renaissance der Mitteleuropaidee in Ostmitteleuropa konfrontiert sind, die als Phänomen eigenen Rechts ernst genommen und nicht einfach nur als Ableger älterer deutschnationaler oder großösterreichischer Traditionen zu den Akten gelegt werden kann (3). 

Abbildung 2:

Zwischeneuropa? Ostmitteleuropa? – die geographische Abgrenzung ist nicht festlegbar, wie es die Homepage des GWZO an der Universität Leipzig verdeutlicht.

 

 

Internet-Quelle [3]

Wir haben es hier mit Versuchen zu tun, jenen Regionen Ost- und Südosteuropas, die am Ende des Zweiten Weltkrieges in den direkten oder indirekten Herrschaftsbereich des sowjetischen Imperiums hineingerieten und sich mit großen Anstrengungen aus diesem herausgearbeitet haben, zu einer neuen, übernationalen politischen Identität zu verhelfen, umso mehr, als die überkommene nationalstaatliche Orientierung in diesem Raum, der eine starke ethnische Gemengelage aufweist, als nicht tragfähig genug empfunden wird. Es ist charakteristisch, dass diesem neuen Mitteleuropa zwar die Republik Österreich und in der Vergangenheit zeitweilig auch die DDR zugerechnet wurde, nicht aber die bisherige Bundesrepublik Deutschland. Peter Hanäk beispielsweise neigte noch vor wenigen Jahren dazu, den Geltungsbereich Mitteleuropas auf jenes Zwischeneuropa zu beziehen, welches sich östlich der "Mauer" bzw. des "Eisernen Vorhangs" und westlich der Grenzen der UdSSR befand. Schon hier tritt ein signifikanter Bruch in der historischen Entwicklung der Mitteleuropaidee hervor, dessen Bedeutung gewiss noch Gegenstand der Diskussionen sein wird. Zuverlässige Orientierung vermag in solcher Lage freilich nur eine historische Ortsbestimmung der Idee und des Sachverhalts "Mitteleuropa" zu geben.

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Anmerkungen

1. Zit. bei Theodor Schieder, Bismarck und Europa, in: Ders. Begegnungen mit der Geschichte, Göttingen 1962, S. 254.

2. Henry Cord Meyer, Mitteleuropa in German Thought and Action 1815-1945, The Hagne 1955.

3. Rudolf Jaworski, Die aktuelle Mitteleuropadiskussion in historischer Perspektive, in: HZ247 (1988) 529-550.